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Das große Schweigen: Die Hauptangeklagte Beate Zschäpe verweigert die Auskunft. Ihr psychischer Zustand gilt als labil.
© dpa

NSU: 202 Tage Jahrhundertprozess

Seit zwei Jahren werden in München in die Morde der NSU-Terroristen juristisch aufgearbeitet. Ein Ende des Mammutprozesses ist nicht in Sicht. Und die Hauptangeklagte Beate Zschäpe? Schweigt.

Am 6. Mai ist es zwei Jahre her, dass am Oberlandesgericht München der NSU-Prozess begann. An 202 Tagen wurde bislang verhandelt, mehr als 400 Zeugen traten auf. In dem Jahrhundertprozess zu den Verbrechen der Terrorzelle NSU soll geklärt werden, ob sich die Hauptangeklagte Beate Zschäpe und die vier Mitangeklagten schuldig gemacht haben. Es geht um zehn Morde, drei Sprengstoffanschläge mit mehr als 20 Verletzten, 15 Raubüberfälle und weitere Taten. Mit viel Mühe versucht der 6. Strafsenat unter Vorsitz von Manfred Götzl, den härtesten Fall rechtsextremen Terrors seit der Wiedervereinigung strafrechtlich zu bewältigen. Doch es geht voran.

 In welcher Phase befindet sich der Prozess?

Die Beweisaufnahme hat den letzten großen Komplex der Anklage erreicht, die 15 Raubüberfälle. Die NSU-Terroristen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt hatten von 1998 bis 2011 einen Supermarkt und 14 Filialen von Sparkasse und Post attackiert. Mehr als 600 000 Euro erbeuteten die Neonazis. Thema der Verhandlung waren bislang die Überfälle auf Geldinstitute in Stralsund, hier gleich zweimal, sowie in Arnstadt und Eisenach. Da nur wenige Menschen verletzt wurden, verläuft die Vernehmung der Zeugen meist zügig. Allerdings zeigt sich auch hier, welches Leid die Terroristen angerichtet haben. Mehrere Angestellte der überfallenen Filialen werden weiterhin von Ängsten gequält. Das gilt noch stärker für Opfer der beiden Sprengstoffanschläge in Köln. Im Januar berichteten Zeugen aus der türkisch dominierten Keupstraße von schweren psychischen Problemen. Mundlos und Böhnhardt hatten dort am 9. Juni 2004 eine Nagelbombe gezündet. Auch zum Anschlag auf ein iranisches Lebensmittelgeschäft in der Probsteigasse wurden bereits Zeugen gehört. In dem Laden war am 19. Januar 2001 eine Bombe explodiert, die Tochter des Einzelhändlers erlitt schwere Verletzungen. Ihr Vater schilderte zudem im Prozess seinen finanziellen Ruin. Nur kurz angesprochen wurde bislang der Sprengstoffanschlag mit einer präparierten Taschenlampe auf ein türkisches Lokal in Nürnberg im Juni 1999. Der Fall wurde im Prozess erst durch die Aussage des Angeklagten Carsten S. bekannt. Die Morde des NSU an neun Migranten türkischer und griechischer Herkunft sowie an einer Polizistin in Heilbronn sind weitgehend "verhandelt". Auch hier wurde das Leid der Hinterbliebenen, noch gesteigert durch die schikanösen Ermittlungen der Polizei, immer wieder deutlich. Zur mutmaßlich von Zschäpe begangenen Brandstiftung in Zwickau sind wohl ebenfalls fast alle Zeugen gehört. Die Wohnung, in der Zschäpe mit Mundlos und Böhnhardt gelebt hatte, ging am 4. November 2011 in Flammen auf. Kurz zuvor hatten sich Mundlos und Böhnhardt in Eisenach erschossen, als ihnen die Polizei nach einem Banküberfall auf die Spur kam. Viel Zeit hat der 6. Strafsenat aufgewandt, um das Geflecht der Unterstützer des NSU zu durchleuchten. Häufig haben Zeugen, meist ehemalige oder noch immer aktive Rechtsextremisten, gemauert. Dennoch kristallisierte sich heraus, dass Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe nach der Flucht aus Jena im Januar 1998 auf ein beachtliches Netz von Helfern in Chemnitz und Zwickau vertrauen konnten.

Wie stark ist Beate Zschäpe nach zwei Jahren Prozess belastet?

Zschäpe droht eine hohe Strafe - obwohl sie mit ihrem Schweigen nichts zur Aufklärung beiträgt und nicht sicher vorherzusagen ist, dass der Strafsenat sie im Sinne der Anklage verurteilt. Die Bundesanwaltschaft wirft Zschäpe die Mittäterschaft bei den zehn Morden und allen weiteren Verbrechen des NSU vor. Zschäpes Verteidiger halten die Anklage für "wenig substantiiert". Ein Punkt dürfte jedoch kaum zu bestreiten sein. Höchst wahrscheinlich Zschäpe hat am 4. November 2011 in Zwickau die Wohnung in der Frühlingsstraße 26 angezündet. Dort hatte die Frau mit den NSU-Mördern Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt von 2008 an gelebt.
Mehrere Zeugen haben ausgesagt, Zschäpe am brennenden Haus gesehen zu haben. In zwei Körben rettete sie ihre beiden Katzen vor dem Feuer. Hinweise, dass eine andere Person in der Wohnung zehn Liter Benzin verschüttet und angezündet hatte, gibt es nicht. Außerdem hat ein Jenaer Anwalt im Prozess ausgesagt, Zschäpe habe ihm berichtet, bei einer Nachbarin geklingelt zu haben, um sicher zu gehen, dass niemand im Haus ist. Der Anwalt hatte Zschäpe am 8. November 2011 in Jena begleitet, als sie sich der Polizei stellte.
Die Bundesanwaltschaft wertet das Feuer als besonders schwere Brandstiftung und spricht auch von versuchtem Mord. Die Nachbarin in der Frühlingsstraße 26 war eine alte, gebrechliche Frau, die das Klingeln Zschäpes - wenn es das gab - nicht hörte und von Verwandten aus dem brennenden Haus gerettet wurde. Allein für diesen Tatkomplex kann Zschäpe zu lebenslanger Haft verurteilt werden.
Dass die Angeklagte daran beteiligt war, die Morde, Sprengstoffanschläge und Raubüberfälle zu planen und zu verüben, ist bislang nicht hinreichend bewiesen. Andererseits gibt es reichlich Zeugenaussagen, wonach Zschäpe sich selbst und ihre Kumpane Mundlos und Böhnhardt tarnte, indem sie bei Nachbarn und Urlaubsbekannten falsche Geschichten verbreitete. Damit verhinderte sie, dass jemand Verdacht schöpfte, die drei könnten untergetaucht sein und zumindest die beiden Männer seien als Kriminelle unterwegs. Möglicherweise hat Zschäpe auch eine gemeinsame Kasse geführt, mit dem von Mundlos und Böhnhardt erbeuteten Geld. Bei diesem Detail sind die Aussagen von Zeugen allerdings widersprüchlich.
Jedenfalls lässt sich kaum bestreiten, dass Zschäpe den beiden Männern den Rücken frei gehalten hat. Das könnte zumindest als Beihilfe zu den Verbrechen von Mundlos und Böhnhardt gewertet werden. Die Existenz einer terroristischen Vereinigung wäre daraus, zumindest theoretisch, noch nicht zwingend abzuleiten. Laut Strafgesetzbuch muss eine Terrorgruppe mindestens drei Mitglieder haben. Zwei Mörder und eine Unterstützerin wären, streng juristisch betrachtet, nicht ausreichend.

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Wie sieht es bei den weiteren vier Angeklagten aus?

Der Ex-NPD-Funktionär Ralf Wohlleben kann sich, obwohl auch er beharrlich schweigt, ebenfalls kaum noch Hoffnungen machen, einem harten Urteil zu entgehen. Der 6. Strafsenat hat in zwei Beschlüssen angeordnet, dass der Angeklagte in Untersuchungshaft bleiben muss. Die Richter halten Wohlleben für dringend tatverdächtig, sich an der Beschaffung der Pistole Ceska 83 beteiligt zu haben, mit der Mundlos und Böhnhardt die neun Migranten erschossen. Eine Beschwerde der Verteidiger hat der Bundesgerichtshof im Februar verworfen - und Wohlleben bescheinigt, im Falle einer Verurteilung wegen Beihilfe zu neunfachem Mord werde die zu erwartende Strafe "eine Untersuchungshaft von erheblicher Dauer nicht nur unwesentlich übersteigen". Die Richter in Karlsruhe wie in München sind offenbar überzeugt, dass der Angeklagte Carsten S. in seinem Geständnis glaubwürdig Wohlleben belastet hat. Carsten S. hatte zu Beginn des Prozesses ausgesagt, Wohlleben habe den Kauf der Ceska 83 eingefädelt und Geld zur Verfügung gestellt. Außerdem gab Carsten S. zu, die Waffe im Frühjahr 2000 nach Chemnitz zu Mundlos und Böhnhardt, die sich dort versteckten, gebracht zu haben. Demnach wird auch Carsten S. wahrscheinlich wegen Beihilfe zu neun Morden verurteilt werden, aber wohl eher mild. Carsten S. kommt sein Geständnis zugute und der Strafsenat wird vermutlich Jugendstrafrecht anwenden, obwohl der Angeklagte heute 35 Jahre alt ist. Der psychiatrische Gutachter Norbert Leygraf hat ihm bescheinigt, zur Tatzeit in seiner "Persönlichkeitsbildung beeinträchtigt" gewesen zu sein. Da Carsten S. im Frühjahr 2000 noch keine 21 war, könnte er als Heranwachsender nach Jugendstrafrecht verurteilt werden. Der Angeklagte Holger G. hat offenbar eine Strafe mittlerer Schwere zu erwarten. Im Juni 2013 hatte er ein Geständnis vom Blatt abgelesen. Holger G. gab unter anderem zu, Böhnhardt geholfen zu haben, an einen Reisepass und einen Führerschein zu gelangen. Die Dokumente brauchte Böhnhardt, um Fahrzeuge zu mieten, die dann bei Straftaten eingesetzt wurden. Für Zschäpe besorgte Holger G. eine AOK-Karte. Der Angeklagte will aber nicht gewusst haben, dass er eine Terrorzelle unterstützte. Fragen dazu beantwortet Holger G. bislang nicht. Stumm und allenfalls grinsend sitzt der Angeklagte André E. im Prozess. Er lässt sein provokantes Outfit sprechen. Mal präsentiert der stark tätowierte Mann ein Oberteil mit der Parole "Brüder schweigen", mal ist das Antliz des RAF-Terroristen Andreas Baader zu sehen. Einer der Vorwürfe der Bundesanwaltschaft lautet, André E. habe Ende 2000 ein Wohnmobil gemietet, mit dem Mundlos und Böhnhardt nach Köln gefahren sein sollen, um den Sprengstoffanschlag auf das iranische Geschäft in der Probsteigasse zu begehen. Im Oktober 2013 berichtete ein BKA-Beamter im Prozess, es seien sogar drei Fahrzeuge auf den Namen André E. gemietet wurden. Der Angeklagte nahm es gelassen. Er befindet sich wie Holger G. und Carsten S. auf freiem Fuß.

Was muss in der Beweisaufnahme noch behandelt werden?

Zunächst stehen die weiteren elf Raubüberfälle in Chemnitz und Zwickau auf der Agenda. Außerdem wollen viele der Nebenklage-Anwälte, meist sind um die 50 im Gerichtssaal anwesend, mehr über die Unterstützer des NSU erfahren. Und über die Rolle von V-Leuten des Verfassungsschutzes. Es liegen umfangreiche Beweisanträge vor, unter anderem zu möglichen Hintermännern beim Mord vom 4. April 2006 an dem türkischen Kioskbetreiber Mehmet Kubasik in Dortmund. Außerdem wird noch über weitere Asservate zu reden sein, beispielsweise die mutmaßlich von Zschäpe verschickten Bekenner-DVDs des NSU.

Wie lange wird der NSU-Prozess noch dauern?

Eine Prognose ist schwierig. Es erscheint angesichts der Fortschritte in der Beweisaufnahme möglich, dass der Prozess im kommenden Winter die Schlussphase erreicht und die Plädoyers zumindest noch in diesem Jahr beginnen. Die Voten der Bundesanwaltschaft, der Verteidiger und der Nebenklage-Anwälte dürften allerdings lange dauern. Dass der 6. Strafsenat noch 2015 ein Urteil verkünden kann, erwarten nur wenige Prozessteilnehmer.
Bei der Frage nach der weiteren Dauer sind mehrere Aspekte zu berücksichtigen. Wieviele Beweisanträge werden Verteidiger und Nebenklage-Anwälte noch stellen? Wie lange dauert die Befragung von Zeugen? Und können sie zu den vorhergesehenen Terminen kommen oder müssen sie neu geladen werden, womit der ganze Zeitplan wieder zu ändern ist? Außerdem muss vermutlich jeden Tag aufs Neue eine Frage gestellt werden, die womöglich die schwierigste ist: wie ist der mentale und körperliche Zustand von Beate Zschäpe?
Sollte die Frau instabil bleiben, dürfte Richter Götzl weiterhin nur zwei statt drei Tage pro Woche verhandeln. Zumindest zeitweise. Der Prozess würde so weiter verlangsamt. Aber Götzl will verhindern, dass Zschäpe wegen psychischer und physischer Probleme verhandlungsunfähig wird. Dann müsste das Verfahren gegen die Hauptangeklagte abgetrennt und der Prozess gegen sie später noch einmal komplett von vorne beginnen. Eine weitere, jahrelang dauernde Hauptverhandlung wäre, wie ein Anwalt der Nebenklage vermutlich im Geiste vieler Kollegen einmal gesagt hat, "ein Horrorszenario".

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