zum Hauptinhalt
Bundespräsident Christian Wulff.
© dapd

Islam in Deutschland: Wulffs Widerworte

Der neue Präsident wirkt offenbar durch das Wort. Er bewegt die Republik. Warum bringt Christian Wulff mit seiner Bemerkung, auch der Islam gehöre inzwischen zu Deutschland, einige Gemüter derart in Wallung? Ein Kommentar.

Es war eine mutige Rede, dem Geist der Freiheit ebenso verpflichtet wie der Humanität. Weltweit wurde sie gepriesen. Der Islam sei ein Teil Deutschlands, sagte der Präsident. Dann sprach er von der „Wahrheit, dass sich Deutschland und Islam nicht ausschließen und nicht in Konkurrenz zueinander stehen müssen; vielmehr überschneiden sich beide und teilen gemeinsame Prinzipien – Prinzipien von Gerechtigkeit und Fortschritt, Toleranz und Menschenwürde“.

Nein, das stammt nicht von Christian Wulff, sondern von Barack Obama. Und statt über Deutschland sprach er am 4. Juni 2009 in Kairo über Amerika. Kein deutscher Unionschrist regte sich damals auf, keine Feministin protestierte, kein Menschenrechtler empörte sich. Warum war bei Obama richtig, was heute, im Fall des Bundespräsidenten, falsch sein soll? Warum bringt Wulff mit seiner Bemerkung, auch der Islam gehöre inzwischen zu Deutschland, einige Gemüter derart in Wallung? Halten wir zunächst das Positive fest: Offenbar wirkt der neue Präsident durchs Wort. Gleich in seiner ersten programmatischen Rede setzt er einen wichtigen Akzent, bewegt die Republik. Weder bedient er seine Klientel, noch mogelt er sich stromlinienförmig durch. Mit einem Streich hat Wulff viele Vorurteile über ihn und das Amt widerlegt.

Die negative Resonanz offenbart aber auch, wie ungestillt der Drang ist, zu jedem Anlass die lange Liste der Vorhaltungen gegen den Islam aufzählen zu dürfen: der Terror, das Wüten fundamentalistischer Milizen, keine Meinungs- und Religionsfreiheit, die Unterdrückung der Frau, die Geißelung der Homosexualität, Ehrenmorde, Zwangsverheiratungen, Demokratie-Inkompatibilität, Antisemitismus, fanatische Reden, fehlende Aufklärung, wörtliche Schriftauslegung. All das wird Muslimen vorgeworfen. Und zwar potenziell allen – ob sie als Computerspezialist in Indien leben, als Oppositionspolitiker im Iran oder als Gemüsehändler in Neukölln. Die Unterschiede zwischen islamischer Kultur, Religion und Tradition werden als unerheblich ignoriert. Etwas dem Islam angeblich Innewohnendes wird als böse erkannt.

Vor diesem Hintergrund lässt sich der Satz, auch der Islam gehöre inzwischen zu Deutschland, bewusst missverstehen – als Bagatellisierung der Integrationsprobleme, als Kotau vor einer menschenverachtenden Religion, als Würdigung des an sich Unwürdigen. Wer aber die vier Millionen Muslime, die in Deutschland leben, weder ausweisen, noch missionieren oder atheistisch zwangsumerziehen will, muss sie und ihren Glauben respektieren. Diese Menschen sind in der Tat ein prägender Teil der Gesellschaft. Nur ihre grundsätzliche Akzeptanz – und dazu gehört als ein Menschenrecht ihre Religion – kann bei ihnen die Bereitschaft erzeugen, harte und zum Teil berechtigte Kritik nicht als persönliche Schmähung zu begreifen, sondern als Korrektiv.

In den USA – dem wohl christlichsten Land der Welt, das am 11. September 2001 das schwerste Terrorverbrechen der Geschichte erlitt, verübt von militanten Islamisten – hat vor drei Jahren der erste muslimische Kongressabgeordnete seinen Eid auf den Koran abgelegt. Auch daran erinnerte Obama stolz in seiner Kairo-Rede. Als Wulff noch Ministerpräsident von Niedersachsen war, ernannte er zum ersten Mal in Deutschland eine Muslimin zur Ministerin. Am Ende ihrer Vereidigung sagte sie lediglich: „So wahr mir Gott helfe.“ Ohne Koran. Integration ist ein Leitmotiv des Bundespräsidenten. Er wird noch viele Reden halten müssen wie die vom vergangenen Sonntag.

Zur Startseite