Kontrapunkt: Wulffs Signal für die Selbstachtung
Christian Wulff hat von Amts wegen Anspruch auf diese Verabschiedung, jeder Präsident, jeder Kanzler, jeder Verteidigungsminister hat das. Und er möchte, dass davon ein Signal ausgeht. Stephan-Andreas Casdorff erklärt, warum der Zapfenstreich das falsche Signal ist.
Zapfenstreich – ja, den hat er, den bekommt er. Berliner Schlussakkord einer Präsidentschaft, die eine hätte werden können. Es ist ein Satz, „Der Islam gehört inzwischen auch zu Deutschland“, der bleiben wird. Der sogar die Republik verändert hat, ein bisschen. Vielleicht hat sich Christian Wulff damit den Zapfenstreich, den Großen, die höchste Ehrung unserer Republik verdient.
Oder? Ja, er hat von Amts wegen Anspruch auf diese Verabschiedung, jeder Präsident, jeder Kanzler, jeder Verteidigungsminister hat das. Aber so, wie es bei Karl-Theodor zu Guttenberg schon fragwürdig in des Wortes doppelter Bedeutung war, so ist es auch bei Wulff. Hätte er nicht verzichten können?
Er wird sagen: Nein. Seine Verteidiger werden sagen: Nein, denn das wäre ein Schuldeingeständnis. Bis jetzt ist ihm nichts Unrechtes nachgewiesen. Und hat der Staat das nötig: ihn zu demütigen, wo er doch schon gestraft genug ist, geradezu öffentlich geächtet?
Richtig – und falsch. Menschlich verständlich ist Wulffs Haltung. Er will, dass ihm die Form von Achtung erwiesen wird, die seinen Amtsvorgängern erwiesen wurde. Wobei: nicht allen – Gustav Heinemann, der zivile Bürgerpräsident, der fuhr zum Abschied mit einem Schiff auf dem Rhein. Das war ihm Ehre genug. Nur war es leider nicht stilbildend.
Nein, Wulff erhebt Anspruch auf Tschingderassabum, weil er im Grunde zum Bekenntnis zwingen will: zu einem Bekenntnis zu ihm. Weil sie das wissen oder zumindest ahnen, haben die anderen noch lebenden Staatsoberhäupter a. D. abgesagt; oder es trifft sich, dass Termine die Teilnahme verhindern, wie bei Horst Köhler, der in Afrika ist.
Hinzu kommt dieser Widerspruch in sich. Einerseits taucht er ab, fordert nur im Verborgenen ein, was er als sein Recht ansieht. Andererseits sucht er beim Abschied die größtmögliche Öffentlichkeit. Er will sich nicht selbst erklären, sondern das sollte die Musik beim Zapfenstreich für ihn tun: Europahymne, „Ebony and Ivory“, was er ursprünglich wollte – so sieht er sich und sein Wirken.
Wulff handelt aus Gründen der Selbstachtung. Wer wollte es ihm verdenken. Aber er handelt nach eigenem Ermessen, und das sagt mehr aus über ihn als die Musik. Ein anderes Ermessen wäre möglich gewesen, gerade für die Selbstachtung. Wenn er doch der Ansicht ist, dass er sich nichts vorzuwerfen hat; wenn er fest davon ausgeht, dass er strafrechtlich in keiner Weise belangt werden wird – dann hätte er warten können, bis die Staatsanwälte ihm das in aller Öffentlichkeit bescheinigen. Damit hätte Wulff, in seinem Denken, aus seiner Sicht, viel mehr beschämt, als er es jetzt überhaupt vermöchte.
Der Große Zapfenstreich, den er jetzt bekommt, wirkt doch umgekehrt so, als wolle er den auch noch schnell mitnehmen. Ehe es zu spät ist. Und solange der von ihm ins Amt gebrachte Präsidial-Staatssekretär noch amtiert. Diesen Eindruck auf gar keinen Fall zuzulassen, hätte ihm die Selbstachtung gebieten sollen. Oder ein kluger Ratgeber.
Ob beim Ehrensold, den Wulff selbst vor Amtsantritt zum Thema gemacht hat, oder beim Zapfenstreich, es ist diese Sprachlosigkeit, die sprachlos macht. Warum sagt Wulff nicht, was er tun will als Altbundespräsident, womit er sich das Geld verdienen will. Weil er es nicht weiß? Er müsste es wissen: Integration leben, Deutsch- Türkisches voranbringen, vielleicht an der Uni in Istanbul, für die er den Grundstein gelegt hat – das wäre aller Ehren wert.
Dass er auf irgendeines seiner Privilegien verzichtet, wird verlangt. Besser wäre es gewesen, Christian Wulff hätte es von sich aus getan, hätte sich erklärt und die Öffentlichkeit mit etwas gesucht, was nicht wie eine Pose erscheint und nicht die Frage hinterlässt, ob er wirklich verstanden hat, was geschehen ist. Warum er jetzt schon Zapfenstreich hat.