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Vorbereiter und Siegtorschütze: André Schürrle und Mario Götze bei der Weltmeisterfeier auf der Berliner Fanmeile.
© dpa

Das WM-Jahr 2014 und Deutschland: Wir sind nicht Weltmeister

Fußball bleibt Nebensache: Wenn uns der WM-Titel von Rio etwas geschenkt hat, dann, dass nationale Befindlichkeiten nur eine untergeordnete Rolle gespielt haben. Ein besseres Land hat der Triumph aus Deutschland aber auch nicht gemacht. Ein Kommentar

Ein Kommentar von Michael Rosentritt

Eben waren wir noch alle Papst, jetzt sind wir eben Weltmeister. Jedenfalls so irgendwie. Aber wie irgendwie? Macht der Titelgewinn von Rio, der vierte für Deutschland, etwas mit uns?
Die Erfolge der Fußball-Nationalmannschaft waren immer auch Ereignisse, in denen sich gesellschaftliche Entwicklungen ausdrückten – oder sie wurden dazu gemacht. Das Wunder von Bern fiel in die Aufbaujahre der Republik. Dieser Titelgewinn soll der Nation das Gefühl geschenkt haben, wieder wer zu sein. Der zweite Titel 1974 wurde als Ausdruck für den Pragmatismus der 70er Jahre gedeutet. Das offenere Klima in der Bundesrepublik habe sich in der Art und Weise gespiegelt, wie die Mannschaft sich zum Titel spielte. Die Betonung lag auf „spielte“. Und 1990, der Erfolg von Rom, galt vielen als fußballerische Verlängerung des Rausches der politischen Wiedervereinigung. Doch weder blühten danach die ostdeutschen Landschaften, noch bewahrheitete sich Franz Beckenbauers Verdikt, wonach eine nun gesamtdeutsche Mannschaft auf Jahre hinaus unschlagbar sei.

Beim Wiedervereinigungstitel war kein Ostdeutscher im Team

Vielleicht ist der Fußball nur Lückenfüller. Seit der Heim-WM 2006 gibt es einen Fußball-Patriotismus, der etwas besetzt, was weder politisch noch gesellschaftlich ausgefüllt ist. Es ist ein Gemeinschaftsgefühl, das Gefühl, kollektiv etwas vollbracht zu haben in Zeiten des Stillstands. Der Sieg von Rio war zu allererst ein solches Gemeinschaftswerk. Das Team Deutschland überwand den Individualismus; erst hat es Ronaldos Portugal bezwungen, dann Neymars Brasilien und im Endspiel Messis Argentinien.

In der Nachbetrachtung wirkt der Titel zwangsläufig. Deutschland sei mal wieder dran, so lautete die Erwartenshaltung vor dem Turnier. Aber warum eigentlich? Weil Titel zur DNA des deutschen Fußballs gehören, oder weil dieses Land nach Jahren der Anstrengungen und Entbehrungen sich für alle sichtbar belohnt sehen wollte?

Der Erfolg der deutschen Mannschaft 2014 hat am Ende vielleicht doch etwas mit den gesellschaftlichen Verhältnissen im Lande zu tun. Zumindest hat der Fußball sich seit den Rumpeljahren um die Jahrtausendwende auf den Weg gemacht, sich zu modernisieren und sich dabei auf gesellschaftlich veränderte Verhältnisse gestützt – die auch das Land durchlebt hat. Beim Wiedervereinigungstitel war kein Ostdeutscher im Team und auch kein Özil, Khedira oder Boateng. Die gab es 1990 noch nicht; weder im Bundestag, noch in der Öffentlichkeit. In den Dax-Vorständen fehlen sie bis heute.

„Nur die deutschen Tugenden hätten nicht mehr gereicht“

Zugleich ist der Titel von Rio so wenig typisch deutsch wie kein anderer zuvor. „Nur die deutschen Tugenden hätten nicht mehr gereicht“, sagte Jogi Löw nach dem Triumph. Heute braucht es Witz und Raffinesse, Geschmeidigkeit und Rhythmus. Deutschland ist vielleicht spielerischer geworden.

Wenn uns der jüngste Titel etwas geschenkt hat, dann, dass nationale Befindlichkeiten nur eine untergeordnete Rolle gespielt haben. Jedenfalls in der Nebensache Fußball und im Moment des Triumphs. Das Land ist kein besseres geworden, nur weil es die wichtigste Mannschaft dieses Landes nach ganz oben geschafft hat. Genauso wenig wie wir Papst waren.

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