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Trauer und Entsetzen. Der Ehemann dieser Frau gehört zu den Ebola-Opfern in Liberia. Sie und der Rest ihrer Familie haben ein hohes Risiko, dass sie sich ebenfalls angesteckt haben.
© AFP

Notlage in Westafrika: Wir dürfen den Ebola-Horror nicht nur beobachten

Das Zeitfenster, um Ebola einzudämmen, schließt sich. Die Industrienationen müssen Westafrika endlich mit aller Kraft helfen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Jana Schlütter

In Liberia – und vermutlich auch in Sierra Leone – wird gerade Wirklichkeit, was jeder Ebola-Experte noch im Frühjahr als unrealistisches Horrorszenario abgetan hätte. Ebola ist in jeder Ecke des Landes angekommen. Die Zahl der Erkrankten steigt exponentiell, sie verdoppelt und verdreifacht sich in regelmäßigen Abständen. Wenn es weitergeht wie bisher, werden es in wenigen Wochen Zehntausende sein. Das Leid in den Monaten danach kann man sich nicht vorstellen.

Mit jedem Tag, der vergeht, ist diese Seuche schwerer zu stoppen. Mit jedem Tag steigen die Kosten. Mit jedem Tag riskieren wir, dass Ebola in weitere, ohnehin krisengeschüttelte Länder vordringt. Die Industrienationen dürfen die verzweifelte Notlage in Westafrika nicht länger ignorieren, sondern müssen sofort mit aller Kraft helfen. Jedes weitere Zögern ist unmenschlich und unverantwortlich.

Die Annahme, dass es die Weltgesundheitsorganisation WHO, Hilfsorganisationen wie Ärzte ohne Grenzen oder gar die Regierungen vor Ort irgendwie allein schaffen werden, ist irrig. Sie arbeiten längst über ihrem Limit. Die provisorischen Behandlungszentren in Monrovia zum Beispiel können keine Patienten mehr aufnehmen. Sobald ein neues eröffnet, ist es überfüllt. Familien, die einen kranken Angehörigen haben, fahren auf der Suche nach einem Arzt mit Taxis kreuz und quer durch die Millionenstadt. Sie werden überall abgewiesen und müssen nach Hause zurückkehren. Dort stecken sie noch mehr Menschen an. Gleichzeitig werden aus den versifften Taxis unkontrollierbare Virenschleudern.

Der Vergleich mit der Pest ist keine Übertreibung mehr

Um einen Ebola-Patienten menschenwürdig und (für die Helfer) sicher zu versorgen, braucht es drei bis vier Pflegekräfte und Ärzte. Allein in Montserrado County, der Region um die Hauptstadt Monrovia, werden derzeit etwa 1000 Betten benötigt – es gibt 240. Als die Epidemie begann, gab es in Liberia einen Arzt pro 100 000 Einwohner. Seitdem sind 152 Mitarbeiter der Krankenhäuser erkrankt und 79 gestorben.

Sie infizieren sich nicht nur, weil sie völlig erschöpft sind und deshalb Fehler machen. Ihnen fehlt oft eine angemessene Schutzkleidung. Andere arbeiten gar nicht auf den Ebola-Stationen, sondern versorgen Patienten mit anderen Infektionskrankheiten. Weil die ersten Symptome denen von Malaria oder den allgegenwärtigen Durchfallerkrankungen gleichen, kommen sie immer wieder weitgehend schutzlos mit Ebola- Kranken in Kontakt. Viele haben Angst, ihren Dienst zu tun. So bricht der klägliche Rest des Gesundheitswesens zusammen. Die Folge: noch mehr Tote.

Die Wirtschaft leidet unter der Panik und den Quarantänemaßnahmen. Nahrungsmittel werden knapp, Leichen verwesen auf der Straße. Kommerzielle Fluglinien weigern sich, die Länder anzufliegen. Der Vergleich mit der Pest, die einst durch Europa fegte, ist keine Übertreibung mehr.

Die WHO musste massive Kürzungen hinnehmen

Der Weltgesundheitsorganisation Versagen vorzuwerfen, ist wohlfeil. Die Finanzkrise hat die Zahlungen an die WHO wegschmelzen lassen, 2010 musste sie jeden fünften Mitarbeiter entlassen. 2011 wurde ihr von den Mitgliedsstaaten auferlegt, sich mehr um nichtansteckende Krankheiten zu kümmern. 2012 halbierte die Weltgesundheitsversammlung den Etat für Krisen und Epidemien. In diesem Jahr standen knapp 90 Millionen Euro zur Verfügung – für alle Seuchen: Mers, Vogelgrippe, Polio und Ebola. Die WHO kann nur um Hilfe betteln und sie koordinieren. Ja, sie hat zu spät gehandelt. Aber jetzt wird sie sehr deutlich: „Wir werden die Welt verantwortlich dafür machen, wie sie auf diese bittere Notlage mit nie da gewesenem menschlichem Leid reagiert.“

Die Europäische Kommission hat immerhin 150 Millionen Euro für die Staaten in Westafrika zugesagt. Deutschland hat bisher 2,4 Millionen Euro gezahlt. Ein erbärmlicher Betrag. Die WHO schätzte die Kosten bereits im August auf 460 Millionen Euro.

Es fehlt an allem. Geld, Material, Personal, Logistik, Nahrungsmittel. Es gibt nicht einmal eine funktionierende Luftbrücke für das Allernötigste. Wenn die Behandlungszentren erweitert werden, fehlen immer noch Ambulanzen, um die Kranken abzuholen, und Motorräder, um die Kontakte nachzuverfolgen. Die Liste ist schier endlos. Es gibt noch ein kleines Zeitfenster, um dieses Feuer zu löschen. Aber es schließt sich.

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