Gastbeitrag zur Digitalisierung: "Wir brauchen mehr Steve Jobs in der Politik"
Lars Klingbeil ist netzpolitischer Sprecher der SPD. In seinem Gastbeitrag für Tagesspiegel Online zur Computermesse Cebit fordert er eine neue digitale Infrastrukturpolitik, eine digitale Bildungsoffensive, mehr Gründergeist und vor allem eines: mehr Mut.
Wir erleben derzeit einen der größten Umbrüche der Wirtschaftsgeschichte: In Zukunft werden so gut wie alle Arbeitsplätze digitale Arbeitsplätze sein. Vom Facharbeiter, über den Handwerker bis hin zur Altenpflege – in allen Berufen und Branchen wird der Umgang mit digitalen Technologien und Anwendungen zum Standard.
Auch in klassischen Industriezweigen, im Bereich des Automobil- oder Maschinenbaus gehen ein Großteil der Innovationen schon heute auf Digitalisierung, Vernetzung und Virtualisierung zurück. Digitalisierung von Wertschöpfungsketten und technischer Fortschritt bedeuten dabei immer auch disruptive und kürzere Innovationszyklen. Diese Entwicklung unter dem Schlagwort "Industrie 4.0" wird nicht nur Großunternehmen beeinflussen, sondern gerade den Mittelstand. Sie ist umfassend.
Diese Entwicklung zu erkennen und sie zu gestalten ist eine große Chance für Deutschland. Politik muss sich verändern. Aus Wirtschaftspolitik muss digitale Wirtschaftspolitik werden. Es kann nicht schaden dabei groß zu denken. Umbrüche erfordern Mut wenn sie positiv gestaltet werden sollen.
Drei Dinge, die jetzt zu tun sind:
1. Eine neue digitale Infrastrukturpolitik
Deutschland braucht die modernste digitale Infrastruktur. Das gilt für ein flächendeckendes, stabiles und hochleistungsfähiges Breitband-Netz genauso wie für die Digitalisierung unser Bildungs-, Verkehrs- oder Energieinfrastruktur. Intelligente Netze werden Motor für zahlreiche Innovationen sein. Große Infrastrukturaufgaben wie die Energiewende sind ohne Investitionen in intelligente Netze undenkbar. Der Staat wird beim Ausbau eine aktivere Rolle spielen müssen - bisherige Ausbaukonzepte und -instrumente gehören auf den Prüfstand.
Gleichzeitig gilt es die richtigen Konsequenzen aus dem NSA-Spähskandal und den offensichtlichen Datensicherheitsproblemen der Vergangenheit zu ziehen. Sichere Soft- und Hardware "Made in Germany" oder "Made in Europe" kann einerseits zum wirtschaftlichen Exportschlager werden und ist andererseits die unverrückbare Grundlage einer weitergehenden Digitalisierung unserer Infrastrukturen.
Mehr Daten und mehr Vernetzung, heißt immer auch mehr Angriffsmöglichkeiten und höhere Verletzlichkeit. Nur wenn wir diese technische und rechtliche Herausforderung lösen, können die Potenziale einer neuen digitalen Daten- und Infrastrukturpolitik gehoben und neue Geschäftsfelder ermöglicht werden.
2. Eine digitale Bildungsoffensive
Gut ausgebildete, digital- und medial geschulte Fachkräfte sind die Säulen der digitalen Wirtschaft. Digitale Bildung wird zum Motor des sozialen Aufstiegs. Der Laptop als Werkbank des 21. Jahrhunderts ist dabei mehr als ein schönes Bild: Es ist das Bekenntnis zur Arbeits- und Lebenswirklichkeit der digitalen Gesellschaft.
Zugang zu Laptop oder Tablet für jeden Schüler, Veränderungen in der Lehrerausbildung und eine Digitalisierung der Bildungsinhalte sind notwendig. Und zwar schnell. Es darf nicht länger vom Geldbeutel der Eltern oder der IT-Affinität von Schulleitern abhängen, ob junge Menschen das Know-How der digitalen Gesellschaft erlernen können.
Auch in der Aus- und Weiterbildung stellen sich ob der rasanten technischen Entwicklung neue Herausforderungen. Ebenfalls Entscheidend wird sein, dass wir die Errungenschaften der Mitbestimmung und der Arbeitnehmerrechte in die Digitale Wirtschaft übertragen. Durch mobile Kommunikation und dezentrale Arbeitsmöglichkeiten entstehen Chancen für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, aber auch Risiken durch Dauer-Erreichbarkeit oder Überwachungsmöglichkeiten. Hier braucht es zeitgemäße rechtliche und auch technische Lösungen damit digitale Arbeit zu guter digitaler Arbeit wird.
3. Unternehmergeist und Neue Gründerzeit
Gründer und Start-ups sind die Keimzelle von gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Innovationen. Wir brauchen in Deutschland eine Kultur, die Gründungen ermöglicht, nicht verwaltet. Es fehlt Risikokapital, Wachstumsfinanzierung, aber auch Forschungs- und Innovationsförderung. Das gilt es politisch zu ändern.
Ebenso muss die Einführung eines neuen Börsensegments geprüft werden. Das kostet Geld, ein Kulturwandel beinhaltet jedoch mehr: Politisch wird es darum gehen eine Kultur der zweiten Chance für Gründer mit Leben zu füllen und die Rahmenbedingungen dafür zu schaffen.
Klar ist: Der beschriebene radikale Umbruch der Wirtschaft findet längst statt. Heute und vor allem in der Zukunft. Die Politik hat die Aufgabe, die Chancen die damit für unsere Gesellschaft einhergehen zu nutzen. Wie gesagt: Es kann nicht schaden dabei groß zu denken. Von Steve Jobs stammt das Zitat: "If you are afraid of failing, you won’t get very far." An der Stelle bin ich für mehr Steve Jobs in der Politik. Deutschland muss heute damit anfangen den Aufbruch in die Digitale Wirtschaft zu starten.
Lars Klingbeil ist netzpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion und Mitglied im Ausschuss "Digitale Agenda".
Lars Klingbeil