NSA und die USA: Weiter schnüffeln wie bisher
Die NSA-Aktivitäten wurden überprüft: Es darf so weitergehen wie bisher. Verrückt? Nein, die Amis ticken in vielen Dingen einfach anders als die Deutschen, vom Waffenrecht bis zur Terrorabwehr
Was für eine Enttäuschung für viele Deutsche: Ihre Empörung über die ausufernde Datenspeicherung der NSA wird nur wenig an der Praxis ändern. Auch ihr einstiger Liebling Barack Obama bietet da wenig Hoffnung. Er verspricht zwar mehr Transparenz und mehr Nachdenklichkeit. Am Ende aber rangiert der Wunsch nach Sicherheit vor dem Datenschutz. Das liegt nicht nur an mangelnder Kontrolle übermächtiger Geheimdienste. Die Amis ticken in vielen Dingen einfach anders als die Deutschen, vom Waffenrecht bis zur Terrorabwehr.
Ein Jahr nach dem Schock über den Tod von 20 Erstklässlern in Newtown ist noch immer kein Gesetz geändert. Und die Kommission des Präsidenten zur Überprüfung der NSA-Aktivitäten empfehlt in ihrem Bericht, im Wesentlichen so weiterzumachen wie bisher. Die Überwachungsprogramme sollen nicht gestoppt, sondern einige zusätzliche Kontrollmechanismen eingebaut werden. Das ist bemerkenswert, weil Obama ja nicht nur Geheimdienstexperten, sondern auch Verfassungsjuristen, die links der amerikanischen Mitte stehen, mit dem „Review“ beauftragt hatte.
Weiterhin sollen die Verbindungsdaten über alle Telefonate in den USA erfasst und gespeichert werden dürfen. Bis in die praktischen Erwägungen hinein wirkt Amerika wie eine andere Welt. Dort baut die Regierung Megadatenbanken auf, um über Jahre Zugriff auf Verbindungsdaten zu haben. Den Telefon- und IT-Konzernen sei es aus Kostengründen und juristischen Erwägungen nicht zuzumuten, die Kundendaten so lange zu speichern. In Deutschland gilt die im Vergleich zurückhaltende EU-Richtlinie, die eine Vorratsdatenspeicherung bis zu sechs Monaten erlaubt, als gefährlich – und als Anlass, sich gegen die sonst propagierte Einheitlichkeit in der EU zu stellen.
Schadensbegrenzung statt Kurskorrektur, das ist auch die Devise für den Umgang mit ausländischen Bürgern und befreundeten Regierungen. Die NSA soll die Überwachung von Menschen ohne US-Pass nicht beenden; nach einer in Amerika verbreiteten Rechtsauffassung erstreckt sich der in der Verfassung garantierte Schutz der Privatsphäre nicht auf sie. Um Vertrauen zurückzugewinnen, solle das Weiße Haus besser erklären, was die US-Dienste tun und warum – und wie sie die Privatsphäre von Ausländern dabei schützen.
Die Entscheidung, welche ausländischen Regierungsmitglieder überwacht werden dürfen und welche nicht, soll künftig im Weißen Haus fallen und nicht mehr den Chefs der Dienste überlassen bleiben. Der Kanzlerin hat Obama bereits versichert, dass sie nicht (mehr) abgehört wird. Mexiko und Brasilien warten noch auf solche Zusicherungen. Auch hier folgt also keine generelle Verdammung, sondern nur eine geschmeidige Anpassung. Das Weiße Haus ist verärgert über die Dienste, die darauf bauten, dass ihre Aktivitäten unentdeckt bleiben. Sie haben nicht abgewogen, welchen außenpolitischen Schaden die USA erleiden, wenn die Praxis ans Licht kommt und ob die gewonnenen Erkenntnisse dieses Risiko überhaupt wert sind.
So spiegeln die Reaktionen auf die NSA-Enthüllungen erneut die verschiedenen nationalen Reflexe im Umgang mit technischen Neuerungen sowie den rechtlichen und gesellschaftlichen Fragen, die sie aufwerfen. Die USA tendieren dazu, Neuerungen zu begrüßen, ihren potenziellen Nutzen in den Vordergrund zu stellen, Warnungen vor Risiken beiseitezuschieben. Sie bauen darauf, dass sie die neuen Techniken domestizieren und die Gefahren beherrschen können. Im Vergleich neigt Deutschland dazu, die Risiken hervorzuheben und der Entwicklung rasch rechtliche Fesseln anzulegen. Dieses Muster, dass Amerikaner im Zweifel experimentieren und Deutsche zu Verboten tendieren, zeigt sich vom Umgang mit Daten über das Fracking bis zur Genkartoffel.
Viele Deutsche werden den Kopf schütteln über dieses Amerika. Hat Edward Snowden nicht enthüllt, dass die Aufsicht durch Kongress und Gerichte versagt hat? Und doch setzt die „Review“- Kommission auf traditionelle „Checks and Balances“. Sie empfiehlt, zum Beispiel, Datenschutzbeauftragte in die „FISA Courts“, die im Prinzip jede Überwachung von US-Bürgern genehmigen müssen, einzuführen: juristische Vertreter der zivilen Gesellschaft, die dort hinter verschlossenen Türen mit Advokaten der Dienste über den Sinn und die Rechtmäßigkeit der Überwachung streiten.
Es ist nicht einmal sicher, dass Obama diese moderaten Empfehlungen durchsetzt. Die Geheimdienste werden sich wehren. Er möchte alles tun, damit kein neuer Anschlag seine Präsidentschaft überschattet. Edward Snowden ist zumindest ein bisschen Sieger: Er hat Amerika aufgerüttelt. Das Vertrauen seiner Landsleute in den „American Way“ ist jedoch nicht nachhaltig erschüttert.
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