Christian Stückl: "Was wir sind, ist die Passion"
Der Mann ist ein Viech, ein Getriebener und das ist keine Phrase. Wer Christian Stückl beim Inszenieren erlebt, ihn dirigieren, schreien, rennen, rügen sieht, glaubt zu begreifen, wie Enthusiasmus geht. Ein Porträt.
Und welche Kraft jemand hat, der für das Theaterspielen brennt, auch wenn er als Treibstoff eine Zigarette nach der anderen einsaugt. Hunderte, Tausende steckt der Motivator mit seiner Spielleidenschaft an. Darunter macht er es bei den Passionsspielen in Oberammergau nicht.
5000 Einwohner hat der oberbayerische Ort und jeder zweite begibt sich inklusive der monatelangen Probenzeit mehr als ein Jahr unter die Fuchtel von Christian Stückl. Zum dritten Mal ist er Spielleiter des weltberühmten Spiels vom Leiden, Sterben und Auferstehen Jesu Christi. Seit 1634 wird es alle zehn Jahre aufgeführt. Sonnabend ist Premiere, bis Anfang Oktober werden 102 jeweils fünfeinhalb Stunden lange Vorstellungen gespielt. Logistisch und ideell keine kleine Angelegenheit. 500 000 Besucher sollen kommen.
Der 1961 geborene Stückl ist gebürtiger Oberammergauer und stammt aus einer Passionsspieldynastie. Sein Vater, ein Gastwirt, spielt auch diesmal einen Hohepriester. Gelernt hat er Holzschnitzer, wie es sich im Dorf der Herrgottsschnitzer gehört. Theaterfieber hat er schon als Junge: 1987 geht er als Regieassistent an die Münchner Kammerspiele und wird im selben Jahr zum jüngsten Passionsspielleiter überhaupt gewählt. Seit 2002 ist er Intendant des Münchner Volkstheaters und inszeniert außer den Passionsspielen auch den „Jedermann“ in Salzburg oder die Eröffnungsfeier der Fußball-WM 2006 in München.
Durchaus überwältigend, aber vor allem immer anders will er die Passionspiele haben. Das Publikum aufwecken und erwischen. Nicht alle mögen das. Diverse Male hat Stückl sein Amt bei Bürgerentscheiden in die Waagschale geworfen. Zu modern, eitel, traditionsvergessen ist das denen, bei denen der Theaterprofi grundsätzlich unter Modernisierungsverdacht steht. Seit er Regie führt, hat sich das Spiel von Antijudaismen befreit und Jesus wird als Hebräisch sprechender Jude gezeigt. Differenziert, als konsequenten Menschen will er den Gekreuzigten diesmal darstellen, nicht als romantischen Heiligen oder kernigen Sozialrevoluzzer. Für ihn sei die Passion immer das, was die Gesellschaft gerade ist, sagt Stückl. Frommer, wenn die Zeiten fromm sind, weltlicher, wenn sie weltlich sind. Wie jetzt.
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