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Der Eingang zur Höhle, der Schlund zur Hölle, war schon immer auch ein mythisches Symbol.
© AFP

Nach Rettung aus Riesending-Höhle: Warum uns das Schicksal des Höhlenforschers fasziniert

Ein Mann wird aus einer Höhle geborgen und die Welt schaut gebannt zu - die Rettung des Höhlenforschers Johann Westhauser hat etwas Mythisches. Von der Faszination der Wiedergeburt.

Aus der Tiefe der Erde wird ein Mann geborgen, und die halbe Welt schaut dabei zu. Diese Geschichte einer Rettung gehört zum Genre der Erzählungen, die so alt sind wie das Erzählen selber. Denn dass jemand, abseits der Gruppe und allein, in unwirtlichem Gelände verloren ging, das kannten alle Generationen unserer Vorfahren zumindest aus Geschichten und Legenden.
Das erklärt aber nur zum Teil, warum wir Nachfahren solche Geschichten – diese Geschichte – medial verbreiten, senden, sehen, hören, lesen, twittern. An sich würde die Sache mit dem Verschollenen in der Höhle mit dem schönen Namen Riesending nicht in die Tagesthemen gehören oder in die Nachrichten auf Deutschlandradio. Aber sie ist überall, und kaum ein Zeitgenosse, ganz gleich aus welchem Milieu oder Konsument welchen Mediums, hat sich nicht ein paar Augenblicke darüber mit anderen ausgetauscht. Und sei es nur, um zu fragen: Wieso klettert einer auch freiwillig in so ein gruseliges Gängesystem runter?
Nun, der Mann hatte ein Recht dazu, eine Pflicht. Johann Westhauser ist Speläologe, Höhlenforscher, Naturwissenschaftler, und dieser Umstand war der Auslöser des Dramas, das am Donnerstag glücklich ausging: Forschungsinteresse war der Grund für das Herumkraxeln im Dunkel des Erdinneren. Speläologen scheinen ein buchstäbliches Interesse an der alten Frage von Goethes Faust zu haben, der sich wünschte: „Dass ich erkenne, was die Welt im Innersten zusammenhält.“ Wer die Geheimnisse des Inneren der Mutter Erde erkunden will, der macht sich vielleicht auf zu direktem Weg auf zu diesem Ziel der Erkenntnis. Es lässt sich, wenn man es schon naturwissenschaftlich anlegt, ja auch anders deuten, nicht im Makro- sondern im Mikrobereich. Fausts Spruch vom Erkenntnisdrang bis zum Innersten ziert daher etwa eine Tafel auf dem Gelände des Teilchenbeschleunigers DESY (Deutsches Elektronen-Synchrotron) in Hamburg.

Rettungskräfte tragen den verletzten Höhlenforscher Johann Westhauser ins Freie. Die Bergung dauerte mehrere Tage.
Rettungskräfte tragen den verletzten Höhlenforscher Johann Westhauser ins Freie. Die Bergung dauerte mehrere Tage.
© dpa

Der Aspekt der Forschung ist nur ein Bestandteil des Faszinosums mit dem Riesending dieser Tage. Sicher ist das Publikum milder gestimmt gegenüber einem so riskanten Unterfangen wie dem Abstieg in tausend Meter Tiefe, wenn es dabei um einen intelligenten Zweck geht, nicht um eine Wette, ein Sportabenteuer. Aber der Aufmerksamkeitssog, in den das Ereignis geriet, hat noch andere Quellen. Aus dem beengenden, dunklen Inneren eines großen Körpers ans Licht geholt zu werden repräsentiert den Vorgang der Geburt: Da wird vor unseren Augen einer neu geboren. Oder es lässt sich sehen als eine Analogie zur Auferstehung: Da war jemand verloren, sah im Wortsinn keine Sonne mehr, und ist wieder am Leben.
Das so drastisch analoge Ereignis mit Höhle, Erde, Dunkel und Licht, ist zugleich und auch genau deshalb, ein mythisches. Es weckt archaische Bilder, durchaus auch solche, mit realem Bezug. 1819 erzählte E. T. A. Hoffmann in „Die Bergwerke zu Falun“ vom anziehenden und bedrohlichen Leben der Bergleute zwischen Gestein und Grubenlampen Untertage. Unheimlich war dem Held der „Höllenschlund“, das Einstiegstor zum Schacht. Das Unterirdische ist auch immer schon Metapher für die Hölle, die Stätte der Verdammten. Und das Bergen verschütteter Kumpel aus der Hölle der Schächte führt überall auf der Welt zu ähnlichen Narrativen, wie jetzt die Rettung des Forschers. Heute sind solche Geschichten der Thrill des Analogen im digitalisierten Leben. Auch daher kommt, vermutlich, ihre Unwiderstehlichkeit.

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