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Volker Perthes, Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin.
© SWP

Gastkommentar zu Wikileaks: Warum Diplomatie Vertrauen braucht

Auch wenn die von Wikileaks veröffentlichten Depeschen bisher eher Tratsch enthalten: Der US-Diplomatie - schreibt Volker Perthes, Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik, im Gastkommentar - schadet vor allem der Verlust von Vertraulichkeit.

„Haben sie schon Ihren Wikileak gesehen?“ – so oder ähnlich begrüßten sich in Berlin und wahrscheinlich in anderen Hauptstädten zahlreiche Mitglieder des außenpolitischen Establishments, als die ersten Pakete der amerikanischen Botschafts- und Außenministeriums Depeschen ins Internet gestellt wurden. Dabei ist vieles von dem, was bis zum Redaktionsschluss dieses Beitrags in den ersten paar Hundert der Dokumente vorkommt, eher Tratsch; bei insgesamt zweihundertfünfzigtausend Dokumenten ist kaum zu erwarten, dass alles interessant oder wichtig ist. Die Realität, die sich in den veröffentlichten Dokumenten spiegelt, ist zudem zweifach gefiltert: durch die Entscheidungen amerikanischer Diplomaten, was sie berichten und durch die Vorauswahl von Wikileaks. Welche Relevanz haben also letztlich die Veröffentlichungen für internationale Politik und Diplomatie?

Die Mehrzahl der jetzt veröffentlichten Drahtberichte enthalten, was Außenministerien von den Berichten ihrer Botschaften erwarten, Einschätzungen neuester Entwicklungen im jeweiligen Gastland. So wird in den meisten Depeschen in durchaus professioneller Art berichtet. Oft liest man da über einheimische Politiker, was ohnehin in den Zeitungen des Landes zur gleichen Zeit geschrieben steht oder was man manchmal in sehr viel despektierlicherer Weise auf Parteitagen über die jeweiligen Parteioberen hört.

Der größte Erkenntniswert dürfte vor allem sein, was der Datenbestand uns über die USA selbst lehrt. Doch auch mit der weiteren Veröffentlichung immer größerer Teile des Datenbestands wird sich vermutlich wenig an dem Eindruck ändern, dass hier professionelle Leute versuchen, aus einer Flut von Informationen ein Bild zu zeichnen, das für die Entscheider in Washington hilfreich ist, um zu verstehen, was in der internationalen Politik überhaupt möglich ist. Ausnahmen – was die Professionalität betrifft – bestätigen auch hier die Regel. Es darf allerdings vermutet werden, dass die amerikanischen Depeschen qualitativ zumindest nicht schlechter sind als vergleichbare Berichte, die von den Botschaften anderer Staaten für deren Außenministerien geschrieben werden. Solche Berichte konstruieren letztlich eine ganz bestimmte Welt – eine Welt aus dem Blickwinkel gut ausgebildeter Beobachter, die das, was sie sehen und hören, einordnen und auswerten, was sie für berichtenswert halten. Die große Konzentration auf Themen wie Iran oder auf die Charakterisierung bestimmter Politiker bedeutet nicht, dass US-Diplomaten über nichts anderes berichten, sondern zeigt vor allem, was die Betreiber von Wikileaks selbst oder die Redakteure beim Spiegel oder beim Guardian für besonders interessant halten.

Die anarchische Freude der Wikileaks-Betreiber an der Veröffentlichung vertraulicher Informationen ist zunächst nachvollziehbar. Die damit einhergehenden selbstgerechten Behauptungen, dass all dies der Transparenz, der Enttarnung illegitimer Machenschaften und letztlich dem Guten in der Welt dient, überzeugen nicht. Dass einzelne Personen möglicherweise einen Karriereknick erleiden, weil ihre kritischen Äußerungen über Parteiobere (Koalitionspartner oder Vorgesetzte) diesen jetzt zugänglich werden, gehört vermutlich zu den kalkulierten Schäden. Schließlich trifft es die Mitglieder politischer und administrativer Eliten, die die Wikileaks-Betreiber ohnehin zum Feind erklärt haben.

Tatsächlich liegt der Schaden auf einer anderen, weniger personalisierten Ebene. Dazu gehört die Gefahr einer Zunahme des politischen Zynismus in Ländern, deren politische Kultur ohnehin nicht von großem Vertrauen zwischen Politik und Gesellschaft geprägt ist. Zynismus fördert in der Regel keine rationale, zivile Politik, sondern gibt eher Wasser auf die Mühlen populistischer und extremistischer Bewegungen.

Dabei ist klar: Nicht jede vertrauliche oder als vertraulich klassifizierte Information ist auch schützenswert. Es ist nur richtig, wenn Informationen über unlauteres Verhalten von Regierenden von Whistleblowern an die Öffentlichkeit gebracht werden. Lügen im Vorfeld des Irakkriegs gehören zweifellos dazu. Ebenso wie die von Außenministerin Clinton oder ihren Vorgängern abgezeichnete National Human Intelligence Collection Directive, mit der amerikanische Diplomaten unter anderem aufgefordert werden, die biometrischen Daten, Kreditkartennummern oder Passwörter von Spitzenbeamten der Vereinten Nationen zu sammeln. Journalistische Verantwortung verpflichtet dazu, solche Dokumente bekannt zu machen. Die Veröffentlichung des gesamten Depeschenverkehrs eines Außenministeriums dagegen ist eine andere Sache, denn sie unterminiert die Diplomatie und ihre legitime Aufgabenwahrnehmung. Diplomaten müssen natürlich auch Einschätzungen liefern, die die Entscheidungsträger in ihren Hauptstädten brauchen, um sinnvolle Entscheidungen zu treffen. In der Regel generieren besser Informierte auch bessere Entscheidungen.

Die Möglichkeit, Gespräche vertraulich zu führen ist ein wesentliches Element diplomatischen Handelns im Umgang mit internationalen Konflikten; Vertrauen ist dabei das Kapital der handelnden Diplomaten. Geheimhaltung hat ihren Wert eben gerade dann, wenn es um diplomatische Lösungen, also das Gegenteil militärischer Lösungsversuche geht. Eine Pendeldiplomatie im Nahen Osten oder in anderen Konfliktgebieten, der Versuch, auf zwei Seiten eines Konflikts akzeptable Kompromisslinien herauszuarbeiten, indem man die wirklichen roten Linien, aber auch denkbare oder hypothetische Konzessionen der einzelnen Parteien eruiert, wären nicht länger möglich, wenn die Konfliktparteien davon ausgehen müssten, dass sich die Protokolle dieser Besprechungen demnächst im Internet nachlesen lassen. Dies gilt im Übrigen nicht nur für Konflikte und Probleme, bei denen es direkt um Krieg und Frieden geht, sondern auch um große internationale Abkommen zu Umwelt- oder Handelsfragen oder eine Reform internationaler Organisationen.

Direkten Schaden durch Wikileaks hat vor allem die amerikanische Diplomatie zu tragen – nicht nur, weil der Datenraub peinlich ist und eine Weltmacht trifft, über deren relativen Niedergang weltweit debattiert wird. Sondern vor allem, weil die Vertraulichkeit des diplomatischen Verkehrs zum Kapital jedes diplomatischen Dienstes – des amerikanischen wie der Dienste anderer Länder – gehört, und dieses Kapital nun erheblich an Wert verloren hat.

Volker Perthes ist der Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin, die Bundestag und Bundesregierung auf der Grundlage eigener Forschung in allen außen- und sicherheitspolitischen Fragen berät. Dieser Beitrag ist der Auftakt der neuen Rubrik „Kurz gesagt“ auf der neuen Website des Instituts. Rubrik und Beitrag sind dort über diesen Link zu finden.

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