Erzwungene Wartezeit: Warum die "Pille danach" rezeptfrei sein sollte
Die „Pille danach“ ist gut verträglich, in 80 Ländern der Welt können sie Frauen im Notfall rezeptfrei in der nächsten Apotheke kaufen. Deutschland hinkt hinterher.
Nicht mit mir! Ein rascher Zugang zur „Pille danach“ und eine gute Beratung seien am besten gewährleistet, wenn die Verschreibungspflicht bleibt, sagte Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) der „Welt am Sonntag“. Er schließt sich damit der Meinung der Frauenärzte an. Ihr Verband jubelt, obwohl erst morgen im Bundestag darüber debattiert wird. Aus medizin-ethischer Sicht verbiete sich die Rezeptfreigabe, man dürfe nicht leichtfertig das Trauma eines Schwangerschaftsabbruchs in Kauf nehmen.
Das ist starker Tobak, insbesondere wenn man sich die Fakten anschaut. Wenn eine Frau – aus welchen Gründen auch immer – ungeschützt Sex hatte und nicht schwanger werden will, kann sie in 80 Ländern der Welt einfach in die nächste Apotheke gehen und die „Pille danach“ kaufen. Ohne Rezept, ohne Wartezeit in einer überfüllten Praxis oder in der Notaufnahme eines Krankenhauses. Das gilt für 28 europäische Länder (außer Italien und Polen) ebenso wie für die USA. In Schweden und Frankreich hat sogar jede Schule die Notfallverhütung vorrätig. Ist all diesen Ländern die Gesundheit der Frauen egal?
Der Wirkstoff Levonorgestrel wird seit 40 Jahren millionenfach geschluckt, vor allem als gewöhnliche Pille, seit etwa 15 Jahren als „Pille danach“. Er verschiebt oder blockiert den Eisprung, unterbindet aber nicht die Einnistung eines Embryos. Ein ungeborenes Kind wird nicht geschädigt. Die „Pille danach“ ist somit keine Abtreibungspille, sie verhindert lediglich Schwangerschaften, die noch nicht bestehen.
Um die "Pille danach" betrogen
Dementsprechend zählt jede Stunde. Bis zu 24 Stunden nach dem Geschlechtsverkehr verhütet sie 95 Prozent der Schwangerschaften, am nächsten Tag nur noch 85 Prozent, am dritten Tag 58 Prozent. Für Frauen, die mehr als 75 Kilogramm wiegen, ist das Mittel ungeeignet. In Deutschland ist deshalb das zuverlässigere und europaweit verschreibungspflichtige Ulipristalacetat Standard. Dieser Wirkstoff verändert zusätzlich die Struktur der Gebärmutterschleimhaut.
Wenn Frauen in Deutschland künftig für Levonorgestrel kein Rezept mehr brauchen, würden sie um die sicherere Variante der „Pille danach“ betrogen, unterstellen die Gynäkologen. Deshalb führen sie das „Trauma eines Schwangerschaftsabbruchs“ ins Feld. Sie trauen Apothekern und Frauen offenbar nicht viel zu.
Der Hinweis, dass Levonorgestrel nur am ersten Tag nach dem ungeschützten Sex sehr gut wirkt und dass das Gewicht der Frau eine Rolle spielt, bedarf weder langer Erklärungen noch ist er schwer zu verstehen. Die Apotheker werden die „Pille danach“ wohl kaum wie Hustendrops verkaufen. In der Schweiz zum Beispiel haben sie eine strikte Beratungspflicht. Außerdem legen sie den Frauen eine Kontrolluntersuchung beim Arzt nahe. Wer Angst vor einer Schwangerschaft hat, wird sich dem nicht verschließen.
Ruf nach der Rezeptfreiheit
Im Einzelfall könne Levonorgestrel schwerere Nebenwirkungen auslösen, sagt Gröhe. Verbände wie Pro Familia kontern, dass rezeptfreie Schmerzmittel gefährlicher seien. Sie sind nicht allein mit dieser Einschätzung. Die Experten des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) empfehlen dem Gesetzgeber seit 2003, die Verschreibungspflicht für die „Pille danach“ mit Levonorgestrel aufzuheben. Erst im Januar haben die Sachverständigen ihre Meinung bekräftigt: „Die Bewertung ergab keine medizinischen Argumente, die zwingend gegen eine Entlassung aus der Rezeptpflicht sprechen.“ Auch die Weltgesundheitsorganisation hält Levonorgestrel für eine sichere und gut verträgliche Notfallverhütung, die schnell und unkompliziert zugänglich sein sollte. Nebenwirkungen wie Kopf- oder Bauchschmerzen seien selten und verliefen meist mild. Der Bundesrat hat sich im letzten November endlich dem Ruf nach der Rezeptfreiheit angeschlossen.
13 Prozent der Frauen in Deutschland haben irgendwann einmal auf die „Pille danach“ zurückgegriffen, jedes Jahr wird sie fast 400 000-mal verschrieben. Wer sie ernst nimmt, sollte den Frauen die Wahl geben, ob sie dem Rat eines Apothekers oder eines Arztes vertrauen. Die Nacht- und Notdienste der Apotheken sind überall erreichbar, auch am Wochenende oder an Feiertagen. Die Notaufnahmen der Krankenhäuser dagegen haben andere Probleme als geplatzte Kondome.