Bedingt abwehrbereit: Warum der Isis-Terror auch Europa bedroht
Die Gefahr der Isis-Dschihadisten zeigt: Europa braucht eine gemeinsame Terrorabwehr. Doch dafür müssen Verträge geändert werden. Ein Kommentar.
Sie kommen ohne Warnung. Selbstmordattentäter sprengen sich in Berlin vor dem Reichstag in die Luft, weitere Terroristen schießen um sich. Zeitgleich richten Dschihadisten in Paris am Eiffelturm ein Blutbad an. Und in Rom zünden Fanatiker ihre Sprengstoffwesten vor dem Petersdom. Die Polizei wird überall überrascht, erst nach längeren Schießereien ist der letzte Terrorist außer Gefecht gesetzt. Europa steht unter Schock.
Alarmismus? Hysterie? Paranoia? Leider nicht. Das Szenario ist der islamistischen Terrorszene durchaus zuzutrauen. Bei dem, was sich in Syrien und Irak zusammenbraut, von Tag zu Tag mehr.
Der 24. Mai war eine Warnung. In Brüssel überfiel der Dschihadist Mehdi Nemmouche das Jüdische Museum, vier Menschen starben. Nemmouche ist einer von vermutlich tausenden Islamisten, die von Europa in den syrischen Bürgerkrieg gezogen sind. Viele landeten bei der Terrormiliz Isis, die sich in Syrien und Irak einen Gottesstaat freischießt. Nemmouche ist ein Rückkehrer. Ist Europa auf solchen Wahnsinn vorbereitet?
Die Antwort muss leider lauten: zu wenig. Zwar haben nationale Behörden viele Anschläge verhindert, oft mithilfe von Hinweisen der US-Nachrichtendienste. Doch mit dem Irak-Feldzug der Isis erreicht die Terrorgefahr gerade auch in Europa ein neues Stadium.
Will die EU angemessen reagieren, muss sie sich zu einer radikalen Reform durchringen. Polizeien, Nachrichtendienste und weitere Sicherheitsbehörden der 28 Mitgliedstaaten werden nach dem Vorbild des effektiv arbeitenden Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrums in Berlin zu einem systematischen, täglichen Informationsaustausch über militante Islamisten verpflichtet. Und zum Aufbau einer gemeinsamen Antiterrordatei, in der die Namen und Kontakte gewaltorientierter Salafisten gespeichert sind. Die Alternative? Blinde Flecken. Wie bisher.
Nemmouche konnte unbehelligt seinen Anschlag planen und wurde nur zufällig festgenommen. Obwohl er den französischen Behörden als radikalisiert bekannt war und der deutsche Zoll 2013 die Kollegen in Paris warnte. Der Islamist war von Syrien aus über mehrere asiatische Länder zum Frankfurter Flughafen gelangt. Die belgischen Behörden und die der 25 weiteren EU-Länder erfuhren jedoch nichts.
Die Mitgliedstaaten der Union wollen es offenbar so. 2007 betonten sie im Vertrag von Lissabon den nationalen Vorrang bei Sicherheitsfragen. So hat die EU als gemeinsame Institutionen zur Abwehr der Terrorgefahr wenig zu bieten. Die Befugnisse von Europol sind beschränkt, der Antiterror-Koordinator Gilles de Kerchove darf kaum mehr als mahnen.
Ein Paradigmenwechsel erscheint zwingend. Obwohl die EU schwerfällig ist und eine Reform, die Nachrichtendienste und Polizei enger zusammenbringt, in Zeiten der NSA-Affäre unpopulär sein mag. So wie die Kooperation mit den US-Diensten an sich. Doch die EU kann nur mit effektiverer Sicherheitsarchitektur und unverminderter Kooperation mit NSA und CIA einer erschreckend dynamischen Terrorszene begegnen.
Der nächste Nemmouche dürfte schon unterwegs sein. Und womöglich ist er nicht alleine.
Frank Jansen
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