Bildungsstandards: Vorsicht vor dem Zentralabitur!
Was sollen junge Menschen lernen? Bildungsstandards von der Grundschule bis zum Gymnasium einzuführen ist richtig. Die Rufe nach einem Zentralabitur sind dagegen verfehlt. Denn diese Idee ist nur auf den ersten Blick verlockend.
Deutschland rollt seinen Kindern auf dem Weg zum Abitur nicht gerade einen roten Teppich aus. Politisch ist gewollt, dass möglichst viele Jugendliche Abitur machen. Doch die Chancen sind bei Weitem nicht für alle gleich. Ein Grund dafür ist der Föderalismus mit seinen 16 Bildungssystemen. So ist ein Flickenteppich mit vielen Stolperfalten entstanden. Die Bildungsstandards, deren Einführung die Kultusminister jetzt beschlossen haben, sind auch noch kein roter Teppich. Doch sie sind zumindest ein roter Faden, an den sich Lehrer, Schüler und Eltern halten können, wenn es darum geht, was ein junger Mensch bis zum Abitur gelernt haben sollte.
cnach dem Pisaschock von 2001 für die Grundschule und alsbald auch für die Hauptschule sowie den mittleren Schulabschluss (MSA) einzuführen, war gut und wichtig. Nur wenn die Kompetenzen festgeschrieben werden, die Schulen vermitteln sollen, können Vergleichsarbeiten und Studien überprüfen, wo das gelingt und wo Schüler besser gefördert werden müssen. Die jetzt beschlossenen Bildungsstandards für das Abitur sind nur folgerichtig. Die Gymnasien brauchen ebenso gemeinsame Grundlagen wie Primar- und Sekundarschulen. Schon heute werden auch die Gymnasiasten bis zum MSA nach den dafür geltenden Standards unterrichtet. Wer wollte den Oberstufenschülern in Kernfächern, die sie – ungeliebt oder nicht – bis zum Abitur belegen müssen, ein modernisiertes Curriculum verwehren?
Die Bildungsstandards sollen die junge Generation auf unsere Wissenschafts- und Mediengesellschaft vorbereiten, sie zu kritisch reflektierenden und kommunikationsfähigen Weltbürgern machen. Dazu braucht es aber an vielen Stellen frische Vorgaben für den Unterricht. Es ist richtig, wenn in Mathematik die Wahrscheinlichkeitsrechnung mehr Gewicht erhält und die Integralrechnung weniger. Für die Planung einer Reise bis zur Berechnung der Rente zu wissen, wo man steht, das ist Orientierungswissen. Es wäre auch viel gewonnen, wenn die Abiturstandards im Deutschunterricht dazu führen, dass als Roman einer Jugend nicht mehr „Die neuen Leiden des jungen W.“ von Ulrich Plenzdorf, sondern „Tschick“ von Wolfgang Herrndorf gelesen wird. Einen Kanon, in dem die Klassiker ihren Platz haben, muss es geben. Doch er muss auch jung und mitreißend sein.
Der rote Faden der Kompetenzen reicht vielen nicht. Sie rufen nach dem Zentralabitur. Es klingt verlockend: Mobile Familien müssten nicht mehr um den Abiturschnitt ihrer Kinder bangen, wenn sie von Berlin nach Bayern ziehen. Es hinge nicht mehr vom einzelnen Lehrer ab, wie eine Abiklausur bewertet wird. Doch im Föderalismus ist das Zentralabitur eine Utopie. Und das ist ein Segen.
Landestypisches würde sonst nivelliert. Dass Heimatdichter nicht mehr Abistoff sein könnten, wäre zu verschmerzen. Aber auch die soziale Zusammensetzung der Gymnasiasten ist höchst unterschiedlich. In Berlin streben sehr viel mehr Jugendliche mit Migrationshintergrund das Abitur an als in Bayern. Berlin ist zu Recht stolz darauf, seine Gymnasiasten nicht so rigide vorzusortieren. Sie auf hohem Niveau auf ein Studium oder eine anspruchsvolle Ausbildung vorzubereiten, muss eine Selbstverständlichkeit sein. Auch dabei helfen künftig die Bildungsstandards. Ihre Regeln sind aber auch die rote Linie, die nicht unterschritten werden darf.