Die Deutschen und Südeuropa: Unser Image ist angeschlagen
Die Deutschen wirken zwar ziviler und politisch kultivierter denn je. Aber faktisch sind sie schon wieder die besserwissenden Oberlehrer der Nationen: nur leider ohne Sprache für die eigene Lehre.
Man kann schon verstehen, dass die Bundeskanzlerin nicht so erfreut war, beim jüngsten Osterurlaub auf Ischia von verdeckt agierenden Fotografen auch in ihrer familiären, privaten Sphäre behelligt worden zu sein. Andererseits wirkten die heimlich geschossenen, in den italienischen Medien sogleich veröffentlichten Bilder wie die reinste Sympathiewerbung. La Merkel, die vermeintlich allmächtige Cancelliera, in salopper Bluse und ganz ohne Betonfrisur, heiter entspannt am Strand, beim Spielen mit dem Enkelkind ihres Mannes. So publicityfern, so uneitel und gut nachbarschaftlich erleben die Italiener (und andere Südländer) ihre politische Klasse nie. Das wird sehr wohl bemerkt.
Und oft und schnell wieder vergessen. Denn neben der Mutti Merkel, die lange nur als die strenge, aber gerechte Erzieherin Europas erschien, gibt es vor allem im mittelmeerischen Ausland auf Protestplakaten und Karikaturen auch die „Nazi- Merkel“ mit dem Hitlerbärtchen. Natürlich glaubt diesen verunglimpfenden Unsinn kaum jemand. Aber Deutschlands Ruf ist angeschlagen. Die wirtschaftlich so erfolgreichen Deutschen gelten in den europäischen Krisenländern auch als Profiteure der Krise – und als mitleidlose Verfechter einer die Schwachen und Armen erdrosselnden Sparpolitik.
Europa ist nicht Weimar. Auch Rom ist noch nicht Weimar. Doch wachsen soziale Unruhen, wenn in Spanien und Griechenland bereits mehr als die Hälfte aller jungen Menschen arbeitslos ist und die entsprechenden Quoten in Frankreich und Italien bei 25 und 35 Prozent liegen. Da müssen sich die Lehrmeister der (angeblichen) Krisenbewältigung mehr und anders erklären. Die Deutschen wirken zwar ziviler und politisch kultivierter denn je. Aber faktisch sind sie schon wieder die besserwissenden Oberlehrer der Nationen: nur leider ohne Sprache für die eigene Lehre.
Angela Merkel erreicht die Hirne und Herzen der Europäer nicht
Angela Merkel erinnert so plötzlich an ihren Amtsvorgänger. Gerhard Schröder, der vermeintliche Medienkanzler, war unfähig, seine schmerzhaften und längerfristig doch wirksamen Sozialreformen jemals in einer starken, die Hirne und auch Herzen der Schwachen bewegenden Rede zu erklären. Darüber hat er sein Amt verloren, und darüber ist die stolze deutsche Sozialdemokratie fast zerbrochen. Auch Angela Merkel hat, ebenso wie ihre Minister und Ministranten, noch kein einziges Mal eine Sprache gefunden, die Hirne und Herzen der anderen Europäer in der Krise wirklich erreicht hätte. Keine europäische Rede, die über technokratische, haushälterische Taktiken hinaus einen ziel- und sinnstiftenden Horizont geöffnet hätte. Als wäre es unmöglich, Verständnis für die eigenen Motive zu wecken und bei den Opfern der Krise wenigstens einen Funken Hoffnung für die Zukunft zu entzünden.
Man begreift ja, dass eine so vernünftige Frau wie die Bundeskanzlerin keine utopischen Versprechungen machen will und das Pathos nicht mag. Aber etwas Empathie müssten ihr, die persönliche Sympathie durchaus wecken kann, doch immerhin möglich sein. Als Zypern seine Rentenkassen plündern wollte, haben Merkels und Schäubles Alarmsirenen immerhin funktioniert. Aber will man ungerührt zusehen, wenn in Griechenland Krebskranke und Kleinkinder sterben, weil es kein Geld mehr gibt für lebensnotwendige Medizin? Die Europäische Union steht nicht mehr nur finanzpolitisch an einem Wendepunkt. Da kann Deutschland, im Inneren rechtschaffen, nach außen rechthaberisch, nicht weiter sprachlos und tatenlos beharren.