Kontrapunkt: Tschüss, Herr Lehrer!
SPD und CDU haben den Koalitionsvertrag festgezurrt. Dabei wurde auch um die Wiederverbeamtung von Lehrern diskutiert. Ist das nur teurer Luxus? Nein, meint Christian Tretbar. Denn Berlin sollte endlich seine Arroganz ablegen.
Das wird eine lange Nacht für die Lehrer dieser Stadt. Nein, nicht schon wieder eine Party. Viel zu feiern haben sie nicht. Gerade deshalb werden die Lehrer den Ausgang der Koalitionsverhandlungen an diesem Dienstag so gespannt verfolgen, wie kaum eine andere Berufsgruppe. Denn für viele geht es zuerst einmal um bares Geld: 500 Euro mehr im Monat oder nicht ist ein legitimes Interesse. Es geht aber um mehr: Bleibe ich in Berlin, gründe hier eine Familie und zahle hier meine Steuern oder gehe ich doch nach München? Oder sogar Stuttgart? Oder diese Frage: Gehe ich mit dem Partner nach Berlin und suche mir in der Hauptstadt eine Schule? Man kann die Frage auch anders formulieren: Es geht in dieser Nacht um die Zukunft der ganzen Stadt!
Die Verbeamtung von Lehrern ist keine technische Frage. Sie ist nichts für Verwaltungs-Feinschmecker. Sie ist elementar. Berlin bildet seine Lehrer für viel Geld aus, kann das Know-How dann aber nicht mehr halten, weil es andernorts attraktiver ist, seinen Beruf auszuüben. Es führt zu Ungleichgewichten im Lehrerzimmer. Kritiker mögen einwenden, dass das in Unternehmen auch so sei. Richtig: Nur wird dort zumindest in der Regel auch nach Leistung bezahlt und nicht nach der Frage, wann hattest du das Glück in den Beruf einzusteigen. Es wäre ja richtig, Leistungsmerkmale stärker zu berücksichtigen bei der Bezahlung von Lehrern. Gute Lehrer sollten besser verdienen, bessere Aufstiegschancen haben. Aber: Was ist ein guter Lehrer? Wer beurteilt das? Es gibt in einer Schule keine monatliche Auswertung mit bunten Charts und vielen Zahlen, die Erfolg messen. Der wird sich oft erst Jahre später zeigen, wenn Schüler zum Klassentreffen kommen und berichten. Man kann darüber streiten, ob eine Verbeamtung sein muss oder nicht. Ist der Lehrerberuf eine hoheitliche Aufgabe, bei der der Staat gegenüber seinen Bürgern in einem Subordinationsverhältnis, einem Über- und Unterordnungsverhältnis steht? Oder muss er nicht vielmehr gerade bei dieser Aufgabe auf Augenhöhe mit seinen Bürgern sein? Ja - in der Praxis, nicht aber in der Theorie. Der Staat sollte sich dieser Aufgabe nicht berauben und ein Interesse daran haben, die Hoheit über diese Ressource zu besitzen.
Das schlimmste an der gegenwärtigen Situation ist die unterschiedliche Interpretation und Beantwortung dieser Frage. Einige Bundesländer sehen es als hoheitliche Aufgabe an und verbeamten, andere nicht. Die, die es nicht tun, begründen es aber vor allem mit finanziellen Aspekten. Ja, die Pensionskosten sind hoch. Aber noch höher sind die Opportunitätskosten. Kosten, die entstehen, weil man Möglichkeiten, Chancen ausläst. Und genau das macht Berlin. Die Hauptstadt muss den Wettbewerb um die besten Lehrer Deutschlands aufnehmen und das geht nicht, wenn die Konditionen andernorts um ein vielfaches besser sind. Und ja, dann muss man an anderer Stelle sparen.
Politik ist auch immer Politik der Prioritäten. Es ist beinahe arrogant, wie Berlin über Jahre argumentiert hat: die Attraktivität der Stadt wird schon dafür sorgen, dass hier keiner weg will und ganz viele her wollen. Aber auch hier steigen die Mieten, auch hier wird das Leben teurer und mit einem deutlich unter dem Schnitt liegenden Angestelltengehalt wird man keinen Lehrer finden, der diesen 7-Tage-Job, und ein solcher ist der Lehrerberuf, wenn man ihn gut machen will, hier unter diesen Bedingungen ausfüllen will. Schon gar nicht mit der Leidenschaft, die nötig ist. Und natürlich - für kaum einen Beruf muss man ein so hohes Maß an Idealismus mitbringen, wie für diesen. Aber man sollte Lehrern nicht auch noch an der Stelle, die den Idealismus belohnen soll, Steine in den Weg legen.
Außerdem: Würde Berlin wieder verbeamten, hätte die Stadt einen doppelten Gewinn: Denn die hier ausgebildeten Lehrer könnte man halten und plötzlich würde Berlin auch als Zuzugsort für Lehrer massiv an Charme gewinnen. Denn dann könnte man wirklich aus dem Vollen schöpfen: Verbeamtung wie in anderen Bundesländern, ein interessantes Bildungsumfeld mit Sekundarschulen, spannende Sozialstruktur - und die Attraktivität der Stadt. Vielleicht kann Berlin dann bald Werbeplakate in Stuttgart aufstellen, auf denen es heißt: Tschüss, Herr Lehrer!