Belgien legalisiert Sterbehilfe für Kinder: Töten im Namen der Menschlichkeit
Belgien ist das erste Land weltweit, das die aktive Sterbehilfe per Parlamentsvotum nun auch an Minderjährigen freigegeben hat. Das ist der vorläufige Endpunkt einer Entwicklung, von der niemand das wahre Ende absehen kann.
In der Moralphilosophie gibt es das sogenannte Slippery-slope-Argument. Frei übersetzt: das Argument der schiefen Bahn, des glitschigen Abhangs oder des Dammbruchs. Ihm zufolge setzt eine bestimmte Handlung unweigerlich eine Spirale negativer Konsequenzen in Gang. Die Handlung selbst mag gerade noch vertretbar sein, aber die Entwicklung, die sie einleitet, ist es nicht. Deshalb müssen einige Prinzipien absolut gelten, also ausnahmslos – wie etwa das Folterverbot, selbst wenn durch dessen Übertretung ein Terroranschlag verhindert werden kann.
Es gab mal eine Zeit, in der auch das Tötungsverbot zu diesen Prinzipien zählte. Damit ist das Verbot gemeint, absichtlich einen unschuldigen Menschen umzubringen. Wehret den Anfängen!, hieß es damals empört, wenn jemand den Versuch unternahm, es aufzuweichen oder zu relativieren.
Wohin könnte das Gesetz führen?
In Belgien dürfen demnächst sogar Kinder umgebracht werden. Es ist das erste Land weltweit, das die aktive Sterbehilfe – klarer gesagt: die Tötung auf Verlangen – per Parlamentsvotum nun auch an Minderjährigen freigegeben hat. Als Bedingung gilt, dass die fünf- oder achtjährigen Kinder unheilbar krank sind, dauerhaft Schmerzen leiden und eine bewusste Entscheidung treffen können. Als Richtschnur dient das „Selbstbestimmungsrecht“ des Menschen, seine Entscheidungsfreiheit und Eigenverantwortlichkeit, was immer das bei einem Kleinkind heißen mag.
Das ist der vorläufige Endpunkt einer Entwicklung, von der niemand das wahre Ende absehen kann. Was vor rund zwei Jahrzehnten im US-Bundesstaat Oregon damit begann, dass Mediziner straffrei blieben, wenn sie schwer erkrankten Erwachsenen mit einer diagnostizierten Lebenserwartung von maximal sechs Monaten auf deren Wunsch hin ein tödliches Medikament verschrieben, könnte dazu führen, dass demnächst allein der Wille eines Menschen zählt – unabhängig von Art und Stadium seiner Erkrankung. Und sind seelische Schmerzen etwa geringer einzustufen als körperliche? Warum gelten nicht auch Liebeskummer und das Gefühl der Sinnlosigkeit als legitime Gründe, eine Person, die darunter leidet, ins von ihr erhoffte Jenseits befördern zu dürfen?
Ein gemeines Wesen
Das klingt nach Panikmache. Doch wer vor 20 Jahren prognostiziert hätte, dass es einst erlaubt sein würde, Kinder auf deren Wunsch hin umzubringen, hätte sich demselben Vorwurf ausgesetzt. Ganz aus der Luft gegriffen scheint das Slippery-slope-Argument in Tötungsdingen jedenfalls nicht zu sein. In einer Gesellschaft, in der sich das Ideal der Selbstbestimmung mit dem der Leidensfreiheit paart, ist eben vieles möglich.
In Belgien wurde die aktive Sterbehilfe für Volljährige im Jahr 2002 legalisiert. Seitdem ist die Zahl der registrierten Fälle von 235 auf 1400 gestiegen. Als Regel gilt: Je normaler das bewusste Herbeiführen des Todes, desto größer der Druck auf die Kranken – ob von außen oder von innen –, anderen nicht weiter zur Last zu fallen. Ein Gemeinwesen aber, das sich aus solchen Gründen seiner Alten und Kranken entledigt, ist buchstäblich das: ein gemeines Wesen.