Torben P.: Suff macht’s nur schlimmer
Wer sich besäuft, riskiert, zum Täter zu werden. Warum wirkt sich Alkoholeinfluss trotzdem strafmildernd aus?
Aus dem Auftakt des Berliner Prozesses gegen den 18-jährigen Torben P., über dessen Tat nur die Richter zu urteilen haben, gibt ein Satz des Angeklagten Anlass zum Nachdenken weit über den konkreten Fall hinaus, nämlich dieser: „Meine Tat ist eine Schweinerei und auch durch Alkohol nicht zu entschuldigen.“
Dieser Satz ergibt nur deshalb einen Sinn, weil sein Autor, der Angeklagte oder (ihm behilflich) sein Anwalt auf die Erfahrung abstellt, dass „normalerweise“ ein Straftäter billiger davon kommt, wenn er seine Tat im Vollrausch begangen hat. Doch irgendwie wehrt sich inzwischen das naive Rechtsgefühl gegen diesen Rauschrabatt. Müsste nicht umgekehrt der Suff vor der Tat strafverschärfend wirken?
Nun weiß jeder Jurist spätestens seit seinem dritten Semester, dass ein Täter nur bestraft werden kann, wenn er schuldhaft gehandelt hat. Deshalb steht ja in § 20 des Strafgesetzbuches: „Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung oder wegen Schwachsinns … unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.“ Aber was, wenn es sich bei der „tiefgreifenden Bewusstseinsstörung“ nicht um einen pathologischen Dauerzustand handelt, sondern um die zeitlich begrenzten Konsequenzen eines dem nüchternen Bewusstsein folgenden, im Ansatz gewollten Alkoholmissbrauchs?
Das Strafgesetzbuch hat auch darauf eine Antwort – und zwar in § 323 a: „Wer sich vorsätzlich oder fahrlässig durch alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel in einen Rausch versetzt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wenn er in diesem Zustand eine rechtswidrige Tat begeht und ihretwegen nicht bestraft werden kann, weil er infolge des Rausches schuldunfähig war oder weil dies nicht auszuschließen ist.“ Also, vom Jugendstrafrecht einmal abgesehen, Totschlag im Normalfall: zwischen fünf Jahren und lebenslänglich – Totschlag im Vollrausch: maximal fünf Jahre.
Das Unbehagen der Justiz an dieser „Privilegierung“ der Rauschtat ist nicht zu verkennen. Andererseits kann die Schuld an einem Verbrechen nicht einfach vorgelagert werden in einen früheren Zeitpunkt. Es ist zwar richtig, dass eine Vielzahl von Gewaltverbrechen unter Alkoholeinfluss begangen wird, dass der Alkohol Hemmschwellen senkt und Aggressionsbereitschaft anheizt.
Aber es trifft auch zu, dass eine noch viel größere Zahl von Menschen sich tagtäglich besäuft, ohne anschließend straffällig zu werden. Man kann diese Leute ja nicht vorsorglich verhaften und bestrafen, nur weil etwas passieren könnte.
In der Schweiz wird ein Rauschtäter ohne Milderung bestraft, wenn er die Verminderung der Schuldfähigkeit hätte vermeiden und die Tat hätte voraussehen können. Aber auch das weise ihm erst einmal jemand nach! Unsere Justiz laviert in der Grauzone herum, der Bundesgerichtshof hat die Sache noch nicht geklärt, so wenig wie der Gesetzgeber.
Aber die gesellschaftliche Realität verändert sich. Der exzessive Suff nimmt zu – und mit ihm die Zahl der Delikte. Am Steuer wird der Alkoholgenuss immer strenger pönalisiert, alkoholisierte Radfahrer können sogar ihren Kfz-Führerschein verlieren wegen fehlender Zuverlässigkeit im Straßenverkehr. Muss man nicht auch die Risiken im Gesellschaftsverkehr schärfer erkennen?
Tabakwerbung wird geächtet, obwohl die Raucher vor allem sich selber schädigen, während viele Betrunkene andere verletzen oder gar töten. Jedenfalls müsste künftig jeder von Jugend auf und von Gesetzes wegen wissen: Wer sich besäuft, riskiert zum Täter zu werden – und darf für eben diese Tat keinesfalls auf Nachsicht hoffen.
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