Meinung: Stoff für Horror
Ein Arzneimitteltest in London endet katastrophal – auch für die Ziele der Biotechnik
Was vor einigen Tagen im Londoner Northwick Park Hospital geschah, hätte Stoff für einen Horrorfilm abgegeben. Sechs gesunde junge Männer bekommen ein neues Medikament gespritzt, um kurz darauf „wie Dominosteine“ umzukippen, berichtet ein Zeuge. Schmerzen, Erbrechen, Kollaps, Organversagen. Der Wirkstoff, entwickelt von der Würzburger Firma Tegenero, lässt offenbar das Immunsystem explodieren. Zwei der sechs Männer schwebten am Freitag noch immer in Lebensgefahr.
Die Prüfsubstanz TGN 1412 befand sich in der ersten Testphase am Menschen, in der es darum geht, ob das potenzielle Arzneimittel überhaupt vertragen wird. Die Frage kann jetzt verneint werden. Wie aber konnte es zu der Tragödie kommen? Alle Tests zuvor waren unauffällig verlaufen, auch die an Menschenaffen. Bei der Dosierung für die Menschen war ein großer Sicherheitskorridor eingehalten worden. Eigentlich durfte nichts schief gehen. Eigentlich.
Verunreinigung, Produktionsfehler, Überdosierung oder die Substanz selbst – im Moment kann man nur darüber spekulieren, was die Ursache war. Und die Konsequenzen? Eine hat Johannes Löwer vom Paul-Ehrlich-Institut, der deutschen Zulassungsbehörde, schon benannt: In Zukunft wird bei entsprechenden Wirkstoffen in der ersten Testphase zunächst nur eine Person das Mittel bekommen.
TGN 1412 ist ein Antikörper, ein biotechnisch hergestelltes kompliziertes Eiweißmolekül. In den letzten Jahren haben Antikörper den Stoff für eine der wenigen echten Erfolgsgeschichten der Biotechnik abgegeben. Biotechnisch hergestellte Antikörper werden heute zum Beispiel in der Tumortherapie eingesetzt. Etwa das Präparat Herceptin bei Brustkrebs.
Viele neue Antikörperpräparate sind in der Entwicklung, und auch TGN 1412 war dazu bestimmt, auf der Welle mitzureiten und Menschen mit Blutkrebs, Multipler Sklerose oder Rheuma neue Chancen zu eröffnen. Aber die Antikörper aus dem Labor der Biodesigner sind keine simplen Chemikalien, sondern verzweigte, aus langen Aminosäureketten aufgebaute Gebilde. Es könnte durchaus sein, dass eine bisher unbekannte Wechselwirkung mit dem Organismus auftritt, mit unberechenbaren Folgen. Und das auch deshalb, weil der Antikörper, eine Art biologische Lenkwaffe, darauf abzielt, das körpereigene Abwehrsystem gegen Krebszellen aufzustacheln. Vielleicht hat die Lenkwaffe das falsche Ziel getroffen.
Der fehlgeschlagene Versuch zeigt, dass auch die neuen Wirkstoffe aus dem Genlabor ihre Tücken haben und das Vorsicht Vorrang haben muss, bei allem Druck von der Börse. Allerdings: Ganz vermeiden lassen werden sich solche zum Glück extrem seltenen Unglücksfälle auch in Zukunft nicht – es sei denn, man verzichtet auf neue Arzneimittel.
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