Neue Kolumne von Hatice Akyün: "Stark ist das neue hübsch"
Wir müssen aufhören, unsere Töchter schön zu finden, findet unsere Kolumnistin. Als Mutter will sie tradierte Rollenbilder aufbrechen.
Und? Müffelt das Vasenwasser Ihrer Valentinstag-Rosen schon? Liegen Ihnen die Pralinen des Liebsten noch schwer im Magen? Schön, dann können wir darüber reden, warum uns die alljährliche Blumenschlacht zum Valentins- und Frauentag keinen einzigen Schritt in Richtung Gleichberechtigung weiterbringt. Verzeihen Sie bitte, ich habe mich noch gar nicht vorgestellt. Ich bin die Neue hier. Das ganze Migrationshintergrundgeschwätz erspare ich Ihnen diesmal – und mir auch.
Um mich soll es in dieser ersten Folge meiner neuen Kolumne auch gar nicht gehen, sondern darum, warum den Frauen im Jahr 2019 noch immer nicht die Hälfte der Welt gehört. Warum müssen wir um etwas kämpfen, was uns selbstverständlich zusteht? Ich würde gerne hoffnungsvoller klingen, aber wenn ich sehe, mit welcher Vehemenz die Umwelt-Aktivistin Greta Thunberg vornehmlich von männlicher Seite angegangen wird, besteht kein Grund zur Hoffnung. Natürlich kann und darf man den Inhalt von Greta Thunbergs Forderungen kritisieren. Es wird ihr aber schon abgesprochen, dass diese Forderungen überhaupt ihre eigenen sind. Ihr wird unterstellt, sie sei die Marionette ihrer Eltern, würde von einer PR-Agentur gelenkt und von Lobbygruppen instrumentalisiert. Dass sie selbst die Aktive ist, wird ihr nicht zugetraut. Weil sie ein Mädchen ist.
Keine Sorge, mir geht es nicht darum, Mädchen und Jungs gegeneinander aufzustacheln. Vielmehr möchte ich uns Erwachsene dafür sensibilisieren, unseren Töchtern und Söhnen keine geschlechterspezifischen Rollen beizubringen. Mädchen sind hübsch, süß, schön, lieb und modebewusst. Jungs sind klug, sportlich, abenteuerlustig, stark und technikbegeistert.
Meine Tochter ist zwölf Jahre alt. In ihrem Umfeld werfen sich jetzt immer mehr Mädchen in die klassische Mädchenrolle. Unter ihren Freundinnen ist es wichtig, gut auszusehen, die Haare schön zu haben. Ein paar wollen „Influencerinnen“ werden – und natürlich nicht politische Influencerinnen wie Thunberg. Dass das Jungs-Mädchen-Ding nicht nur mein privates Bauchgefühl ist, belegt aber auch eine internationale Studie der Weltgesundheitsorganisation. In 15 Ländern wurden Kinder und Jugendliche befragt, mit welchen Geschlechterrollen sie aufwachsen. Das Ergebnis: Ihnen wird schon sehr früh vermittelt, dass Mädchen schön und verletzlich und Jungen stark und unabhängig sind. Und diese Botschaft werde ständig verstärkt – von Geschwistern, Mitschülern, Lehrern, Eltern, Verwandten, Geistlichen, Trainern.
Im Zimmer meiner Tochter hängt das Poster eines Mädchens in Sportkleidung. Ihre Arme sind verschränkt, und sie schaut energisch. Darüber steht: „Stark ist das neue hübsch.“ Ich habe ihr erklärt, dass hübsch sein eine passive, mutig sein, eine aktive Eigenschaft ist. Sie runzelte die Stirn, aber ich bin sicher, dass sie verstanden hat, was ich meine. Als Mutter versuche ich mit allen Mitteln, die tradierten Rollenbilder in der Erziehung aufzubrechen. Wir Eltern sind schuld, wenn unsere Töchter denken, sie müssten vor allem schön sein. Wir müssen aufhören, unsere Töchter schön zu finden. Wenn wir diese Zuschreibungen benutzen, signalisieren wir ihnen, dass Aussehen wichtig ist. Wenn wir das hübsche Kleid mehr als alles andere hervorheben, sagen wir ihnen, dass es mehr wert ist als ihre Charaktereigenschaften. Loben wir sie aber dafür, etwas aus eigener Kraft geschafft zu haben, stärken wir ihre Stärke und ihren Mut. Und wenn sie das rosa Kleid tragen wollen, dann ist das auch in Ordnung. Das Entscheidende ist, dass sie die Wahl haben.
Jungs sind so? Mädchen auch!