Affäre Rüttgers: Sozialstaat in Rheinkultur
Am Aschermittwoch waren die tollen Tage im Rheinland diesmal nicht vorbei: Die Narren regieren einfach weiter. Der Ministerpräsident, so stellte sich jetzt heraus, lässt sich von Unternehmern buchen wie ein Karnevalsprinz.
Am Aschermittwoch waren die tollen Tage im Rheinland diesmal nicht vorbei. Die Narren regieren einfach weiter. Der Ministerpräsident, so stellte sich jetzt heraus, lässt sich von Unternehmern buchen wie ein Karnevalsprinz: auf CDU-Parteitagen mit Einzelgespräch im „Partnerpaket“ zu 20 000 Euro, bei Zukunftskongressen der Partei für „Platinsponsoren“ auch als Tischnachbar beim VIP-Essen zu 22 000 Euro – einmal Rüttgers bitte, all inclusive. Ach ja, keine Büttenrede ohne schlechten Witz: Rüttgers hat davon gar nichts gewusst, sagt er. – Tätää, tätää, tätää.
Eine Partei, die verdeckt Spenden eintreibt, indem sie einen Ministerpräsidenten verhökert, ist ja eigentlich schon jeck genug. Aber ein Ministerpräsident, der sich gegen Bezahlung verkuppeln lässt und davon gar nichts wissen will, das ist, nun ja, man wird es doch wohl noch sagen dürfen: dekadent.
Und damit verlässt die Geschichte auch schon die lokale Bühne, denn das, was hier geschieht, in Nordrhein-Westfalen, ist von erheblicher Bedeutung für die Bundespolitik, in der ja auch gerade Dekadenz eine große Rolle spielt. Wenn hier, im größten Bundesland, nicht in ein paar Wochen gewählt würde, wenn hier nicht eine schwarz-gelbe Koalition zur Disposition stünde, dann hätte der Sozialpopulismus von Guido Westerwelle nicht so eine Wucht entfaltet, dann hätten die Wortspaltereien des Umweltministers Norbert Röttgen zur Laufzeit der Atomkraftwerke nicht so grün gestrahlt. Die Wahl in Nordrhein-Westfalen lässt den Boden beben, auf dem die Bundesregierung zu stehen versucht; sie ist ein Auslöser der nervösen Zuckungen, unter denen immer mehr Politiker leiden, solange sie nicht Merkel heißen. Die Rent-a-Rüttgers-Affäre ist deshalb Berliner Politik in Rheinkultur – und sie ist Teil der Sozialstaatsdebatte, die alle Züge eines Kulturkampfs trägt.
Denn während inzwischen vor allem darüber diskutiert wird, wie am unteren Ende der Gesellschaft Kontrolle und Druck erhöht werden können, scheinen in der Politik immer mehr Sicherungen durchzubrennen. Den Anschein der Käuflichkeit weisen sie alle stets mit der gleichen Empörung zurück, da kennt die Politik keine Parteien. Das gilt für die FDP, die eine Millionenspende aus der Hotelbranche gerne annimmt und als Regierungspartei davon selbstverständlich völlig unbeeinflusst die Mehrwertsteuer für Übernachtungen senkt; das gilt für die Berliner SPD, die das Auftragsgemauschel unter amtierenden Genossen im Baugewerbe wohl aus langer Erfahrung für völlig normal hält; und das gilt natürlich auch für den armen Ministerpräsidenten und CDU-Landesvorsitzenden Jürgen Rüttgers, der – angeblich ohne eigenes Wissen – jahrelang von seiner Partei zahlungskräftigen Kunden zum Verzehr angepriesen wird. Dass Rüttgers jetzt im Gegenzug und zur Entlastung seinen Generalsekretär der hungrigen Meute zum Fraß vorwirft, unterstreicht nur den Zynismus einer politischen Klasse, die Maß und Mitte in Wort und Tat verloren zu haben scheint. Wie kann einer Verantwortung für ein ganzes Land übernehmen wollen, der nicht einmal die Kontrolle über sich selbst hat?
Von Leistung ist viel die Rede dieser Tage, von der Leistung der Leistungsempfänger für die Gesellschaft. Keine Leistung ohne Gegenleistung, so lautet die Parole. Nach diesem Motto funktioniert auch die Wirtschaft, so denkt jedes gute Unternehmen. Was denken sich wohl die Unternehmer, die mit der Politik ins Geschäft kommen? Mal so unter Partnern.
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