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Bio ist in. Nur wo soll man die Ware kaufen?
© dpa

Gewissensdilemma: Sollte man Bio-Produkte israelischer Siedler essen?

Unser Autor hat vor Jahren den Entschluss gefasst, keine Produkte der israelischen Siedlungen in den besetzten Gebieten mehr zu essen. Aber hier wird nicht zum Boykott aufgerufen, denn das ist in Israel verboten.

Ich habe keine Erinnerung mehr daran, wann genau ich den Entschluss gefasst habe, Produkte unserer israelischen Siedlungen in den besetzten Gebieten nicht mehr zu kaufen. Bestimmt liegt es fast zwanzig Jahre zurück, als ich noch Student an der Tel Aviver Universität war. Der erste Anstoß kam wohl von Freunden, aber auch durch Flugblätter des linken Vereins Gusch Schalom, der 1993 durch Uri Avneri gegründet worden war und mit detaillierten Listen zum Boykott der Produkte der Siedlungen aufrief. Wenn man diese Listen analysiert, kann man die Geschichte des rasanten Wachstums der Siedlungen nachvollziehen.

Die erste Frage, vor die mich der Entschluss zum Boykott der Siedlungen gestellt hat, war, was gilt eigentlich als eine Siedlung? Gehören die Golanhöhen oder Ostjerusalem dazu? Laut Gusch Schalom keine Frage. Aber mir fiel es schwer, auf die hervorragenden Weine der Winzerei Golan Heights zu verzichten. Und da auf dem Golan keine Palästinenser unterdrückt werden, habe ich mich entschieden, hier ein Auge zuzudrücken.

Anders hat es sich bei den palästinensischen Gebieten verhalten. Zähneknirschend sah ich mich gezwungen, mir die knusprigen kleinen Brezeln der Bäckerei Bagel Bagel und die preiswerten Weine der Winzerei Barkan zu verweigern: Beide hatten sich im Industriegebiet Barkan bei der großen Siedlung Ariel niedergelassen, die schon 1982 errichtet worden war. Inzwischen hat die Winzerei das Gebiet verlassen und sich im Kibbutz Chulda niedergelassen. Währenddessen sucht der multinationale Konzern Unilever, der 2010 Bagel Bagel erworben hat, nach einer alternativen Stelle für die Fabrik innerhalb Israels, um Problemen bei der Vermarktung in Europa zu entgehen. Aber immerhin befinden sich rund 100 Fabriken in Barkan. Östlich von Jerusalem wird auch das Edumim-Industriegebiet betrieben, wo rund 200 Firmen ihren Sitz haben. Dort sitzt auch ein Naturfeinkosthersteller, der unter anderem hervorragende Sesambutter anbietet. Auch in diesem Fall konnte ich keine Schwäche zeigen. Schließlich kann die jüdische Besiedlung dieses Gebiets dazu führen, dass der Konflikt unlösbar wird. Lieber die hervorragende palästinensische Tahina aus Nablus essen.

Das bringt uns zum allgemeinen Bioproblem, das für die israelischen Linken eine der größten Herausforderungen der letzten Jahre darstellte. Da Obst und Gemüse in der Regel ohne Anbaubezeichnung verkauft werden, kann man nicht sagen, ob sie aus einer Siedlung oder von Flächen innerhalb Israels stammen. Erschwerend kommt hinzu, dass aus den Siedlungen relativ viel Bio-Gemüse stammt, weil der Boden der Westbank und die Höfe der Siedler zum Bioanbau sehr gut passen, während gerade unter den Biokunden der Anteil Linksgesinnter sehr hoch liegt. Das Problem wurde in den israelischen Medien diskutiert. Aber Bioläden verweigern in der Regel, Gemüse und Obst aus den Siedlungen zu kennzeichnen, um keine Kunden zu verlieren. So blieb mir nichts übrig als zu raten, ob die Tomate eine Siedlerin ist. Seitdem ich in Berlin lebe, sind mir solche Fragen oft erspart.

Kürzlich nun hat die Knesset ein Gesetz verabschiedet, das jeden Aufruf zum Boykott der Siedlungen verbietet und unter Geldstrafe stellt. Nun werden sich Bioläden erst recht weigern, Gemüse und Obst aus den Siedlungen zu kennzeichnen. Sie werden es nicht dürfen, es sei denn, die Bezeichnung kann als eine Empfehlung zum Kauf verstanden werden. Sogar Gusch Schalom, die das Gesetz vor Gericht anfechten, sahen sich gezwungen, die Liste der Produkte aus Siedlungen von ihrer Webseite zu nehmen, um Klagen zu entgehen. Daher muss auch klar sein, dass der vorliegende Artikel lediglich meinen bisherigen Umgang mit den Produkten der Siedlungen schildert. Auf keinen Fall ruft er zum Boykott auf. Als Staatsangehöriger eines demokratischen Rechtsstaates möchte ich nicht sagen, was nicht gesagt werden darf.

Der Autor ist ein israelischer Historiker.

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