Karriere und Familie: Sigmar Gabriels Vaterschaft
Sage, was Du tust, und tue, was Du sagst: Väter und Politiker werden an ihren Worten gemessen. Vizekanzler Sigmar Gabriel hatte einst versprochen, immer mittwochs für seine Tochter da zu sein. Was ist daraus geworden?
Bevor er Vizekanzler und Minister wurde, gab Sigmar Gabriel ein Interview – und ein Versprechen. Effizient, modern und fürsorglich: Das ginge ebenso wie Karriere und Familie. Mindestens einen Nachmittag pro Woche wolle er, der SPD-Chef, trotz des hektischen Politikbetriebs mit seiner Tochter in Goslar verbringen. Gabriel legte sich fest: „Mittwochs bin ich mit Abholen aus der Kita dran.“
Sage, was Du tust, und tue, was Du sagst: Väter und Politiker werden an ihren Worten gemessen, sofern aus ihnen Taten werden. Also machen wir mal einen Sechswochentest, vom 12. Februar bis zum 19. März. Der Zeitraum ist zufällig gewählt, Ergänzungen und Korrekturen ebenso möglich wie willkommen.
12. Februar 2014: Am Abend nimmt Gabriel in Berlin an einem Essen mit den Vorstandschefs führender europäischer Energieversorger teil. Der Meinungsaustausch, auf Einladung von Bundeskanzlerin Angela Merkel, war lange vorher verabredet worden. Es geht um Klimaschutz, Emissionshandel und Investitionsbedingungen.
19. Februar 2014: Die deutsche und französische Regierung treffen sich in Paris zum 16. Deutsch-Französischen Ministerrat. Gabriel ist dabei, weil es vorrangig um die Themen Offshore-Windenergie, Netzausbau und Energieeffizienz geht.
26. Februar 2014: Gabriel hatte sich kurzfristig krank gemeldet und war deshalb nicht mit der Bundesregierung nach Israel zu den deutsch-israelischen Regierungskonsultationen gereist.
5. März 2014: Ein Agenturbild zeigt Gabriel an diesem Tag, wie er sich in Berlin mit seinem Referatsleiter für IT, Bernd Weismann, unterhält. Anschließend wollten beide an der Tagung des Beirates „Junge Digitale Wirtschaft“ teilnehmen, der den Bundesminister für Wirtschaft und Energie zu aktuellen Fragen der Informations- und Kommunikationswirtschaft berät.
12. März 2014: In München wird die Handwerksmesse eröffnet. Allerdings sagt Gabriel ohne nähere Begründung seinen persönlichen Besuch kurzfristig ab. In einer Videobotschaft bekennt er sich für das Qualitätssiegel des Meisterbriefes. Der stehe für die Bundesregierung „nicht zur Disposition“. Am nächsten Morgen sitzt Gabriel schon sehr früh im Bundestag, als Merkel um kurz nach neun Uhr ihre Regierungserklärung abgibt.
19. März 2014: Am Abend nimmt Gabriel in Berlin an einer Veranstaltung der Stahlindustrie teil. Die jüngsten Vorschläge der EU-Kommission im Streit um die Ökostrom-Umlage weist er zurück. Es liege auf der Hand, dass diese nicht zu akzeptieren seien, sagt er.
Wahrscheinlich ist diese Terminliste unvollständig. Vielleicht vermittelt sie auch ein nicht ganz stimmiges Bild. Schließlich ist die Strecke von Berlin nach Goslar mit dem Auto bei freier Fahrt in drei Stunden zu schaffen. Sigmar Gabriel könnte also die eine oder andere Mittwochnachmittagsstunde durchaus bei seiner Tochter verbracht haben. Aber das dürfte weder leicht noch umweltschonend gewesen sein. Kristina Schröder, die ehemalige Familienministerin, sagte zu dem Thema mal: „Politik ist kein Ponyhof.“ Das klingt im Nachhinein sehr viel weiser und lebensklüger als Gabriels: „Mittwochs bin ich mit Abholen aus der Kita dran.“