Peer Steinbrück und die "Stinkefinger"-Pose: Sie können ihn mal
Der SPD-Kanzlerkandidat zeigt den Stinkefinger - nur eine ironische Geste in einem ironischen Format? Ein Finger, der zum Fragezeichen wird, der aus dem Kandidaten ein Rätsel macht - und ihn womöglich als Kanzler unmöglich.
So etwas hat es noch nicht gegeben: Der Kanzlerkandidat zeigt seinen Kritikern den ausgestreckten Mittelfinger, zehn Tage vor der Wahl. Die Augen verkniffen, offen der Mund: ein Hooligan, kurz davor, dem Gegner mit der hohen Stirn das Nasenbein zu zertrümmern – so springt er alle an, vom Titelbild des „SZ-Magazins“. Ein Bild fürs Deutsche Historische Museum. Aber was zeigt es? Eine ironische Geste in einem ironischen Format, wie der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel nach einer Schreckstunde das Bild zu erklären versucht? Oder doch ernsthaft „Klartext“ auf eine Frage nach „ollen Kamellen“, wie Peer Steinbrück selbst seine Geste erklärt, bevor auch er umschwenkt auf Ironie?
Die Rubrik, für die sich Steinbrück befragen ließ, heißt „Sagen Sie jetzt nichts“. Prominente antworten dort pantomimisch. Die Frage, für die er sich so aggro inszeniert, lautet: „Pannen-Peer, Problem-Peer, Peerslusconi – um nette Spitznamen müssen Sie sich keine Sorgen machen, oder?“ Die wortlose Antwort, frei übersetzt: Leck mich, halts Maul, sonst Fresse dick. Wenn das Ironie ist – wie lautet dann wohl die ernsthafte Antwort?
Steinbrück ist hart angegangen worden zu Beginn seiner Kandidatur, unverhältnismäßig im Vergleich zur Gewichtsklasse seiner Fehler. Aber der Maßstab war eben nicht mehr der Mann, der mal was war, sondern der Mann, der noch etwas will, der das wichtigste politische Amt des Landes anstrebt. Die Frage, die seitdem im Raum steht, heißt nicht mehr: Geht das, sondern: Geht das als Kanzler? Kann man als Kanzler der Schweiz mit der Kavallerie drohen? Italienische Wahlgewinner als Clowns bezeichnen? Sich selbst wie einer verhalten – also nicht wie ein Kanzler, sondern wie ein Clown?
Weg von Pillepalle, ollen Kamellen, Honoraren, Bettelbriefen, Kanzlergehalt, endlich mal zu den Inhalten kommen, zur Politik, zum Programm, und dabei dennoch offen bleiben, klar und authentisch, ja oder nein, das war Steinbrücks Ziel für die zweite Hälfte des Wahlkampfs. Ganz anders Angela Merkel, für die „Sagen Sie jetzt nichts“ als Format in seiner reinsten Form, ohne Bewegung, ohne Mimik, ohne Tat das Passende wäre, gerade im Wahlkampf. Während Merkel den Gong herbeisehnt, dabei peinlich wird in St. Petersburg, sich wie ein Warnow-Aal windet bei Publikumsfragen in der Wahlarena, punktet Steinbrück Tat für Tag, nicht spektakulär, aber doch souverän.
Er will sich als Mensch zeigen, als Gegenbild, als jemand mit echten Gefühlen, der die Leute nicht abspeist mit einem Stück Pflaumenkuchen aus der Kanzlerküche, wie Angela Merkel es tat. Vielleicht kommt er ja tatsächlich auch mit Stinkefinger bei manchen gut an: cool, mutig, anders, nicht so spießig wie Linke, Grüne und die anderen Konservativen. What you see is what you get, ich bin so, wie ich mich gebe. Aber stimmt das Bild? Hat Steinbrück wirklich Emotionen gezeigt, wie Gabriel meint – oder sie nur gespielt? Wie geht das, ironisch authentisch Gefühl inszenieren? War nur die Geste ironisch gemeint oder auch die „Klartext“-Erklärung? So wird der Finger zum Fragezeichen, der Kandidat zum Rätsel, macht sich der Kanzler unmöglich.
Am Tag, an dem Peer Steinbrück seinen Kritikern den gestreckten Mittelfinger zeigt, erscheint der weltweit angesehene britische „Economist“ mit Angela Merkel auf dem Titel. Sie steht auf einer Säule, die Finger vornehm zur Raute geformt, ein menschliches Stabilitätsversprechen. Der Titel lautet: One woman to rule them all. So etwas wird sich Peer Steinbrück nicht nachsagen lassen.