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Serbien: Roman vom letzten Totengräber

Serbien hat einen schillernden neuen Präsidenten. Doch so lange sich das Land nicht in einem Punkt eindeutig positioniert, hat es keinen Platz in der EU.

Als Schriftsteller hätte man ihn nicht erfinden dürfen. Tomislav Nikolic, den die zweite Runde der serbischen Präsidentschaftswahlen ins Amt geschwemmt hat, ist eine derart schillernde Figur, dass sie in jeder literarischen Erzählung unglaubhaft wirken müsste. Zu dem Roman, den sich Serbien seit Jahren selber schreibt, passt der 60-jährige ehemalige Friedhofsmanager mit dem Spitznamen „Toma, der Totengräber“ leider recht gut.

Vor nicht allzu langer Zeit war jener Nikolic ein Kriegstreiber und Brachialnationalist, neben dessen radikaler Partei Anfang der 90er Jahre sogar Slobodan Milosevic gemäßigt wirkte. Vojislav Seselj, damals Leiter der Serbischen Radikalen Partei, landete vor dem Den Haager Tribunal für Kriegsverbrecher. Sein Ex-Stellvertreter Nikolic hielt bis vor kurzem an der drastisch-fantastischen Nationalrhetorik von damals fest. Noch im Juli 2007 erklärte er, niemand werde ihm weismachen können, Radovan Karadzic und Ratko Mladic seien Verbrecher – auch das ist bei vielen noch Teil des serbischen Romans.

Als einziger Abgeordneter hatte Nikolic seit 1992 in jedem Parlament einen Sitz, seine äußerliche Wende vollzog er dabei 2008 durch den Bruch mit der Radikalen Partei und die Gründung seiner Serbischen Fortschrittspartei, deren Banner auf zwei Seiten je anders bestickt ist: Auf der einen sieht man die slawische Bruderschaft mit Russland, auf der anderen prangen die Sterne der Europäischen Union. Anhängerschaft oder Außenwelt wird die jeweils eher genehme Seite präsentiert.

Angesichts der Umfragen vor der Wahl hatte Brüssel fest auf die Wiederwahl des liberaleren Boris Tadic gebaut. Konzentriert auf das Desaster Griechenland und die Euro-Krise, hatte man Nikolic nicht im Blick. Der wiederum wusste, dass sein Versprechen, mit Misswirtschaft und Korruption aufzuräumen, bei den Wählern die Hoffnung auf einen wirtschaftlichen Aufschwung nährt. Attraktiv für Rest-Nationalisten macht ihn zugleich die Art, in der er durchblicken lässt, weiter am nationalen Fetisch Kosovo festzuhalten, der „Wiege serbischer Kultur“.

Hier wird die große Herausforderung für Brüssel liegen, jetzt, da das Undenkbare eingetreten ist – der direkte, durch das Amt gestärkte Machtzuwachs eines früheren Kriegstreibers, der sich zwar Mühe gibt, den Schafspelz überzuziehen, doch dessen Wolfshaar sichtbar bleibt. Nikolic würde Serbien gern in die EU wuchten, ohne den territorialen Anspruch auf die ehemalige südserbische Republik Kosovo aufzugeben. Dass seine reale Machtbasis kleiner ist, als das Wahlergebnis suggeriert – seine 49 Prozent addieren sich angesichts der geringen Wahlbeteiligung auf gerade mal ein Viertel der Wahlberechtigten – dürfte ein Vorteil für Verhandlungen sein.

Ganz Serbien, nicht allein dem neuen Präsidenten, muss mit kompromissloser Deutlichkeit klar gemacht werden, dass es einen Weg in die EU mit dem Anspruch auf Nachbarterritorien nicht gibt: dass dieses Kapitel des großserbischen Romans der Totengräber endgültig vorüber ist.

Caroline Fetscher

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