Generation Ungewiss: Rente mit 63: Fair ist das nicht
Die große Koalition nimmt sich die abschlagsfreie Rente mit 63 zu Herzen. An einem anderen Problem aber ändert sie nichts: Immer mehr Arbeitnehmer arbeiten mit Befristung - vor allem junge Menschen. Fair ist das nicht.
Bei der Kabinettsklausur in Meseberg vor ein paar Wochen hatte Vizekanzler Sigmar Gabriel die abschlagsfreie Rente mit 63 mit warmen Worten gepriesen. Es gebe eine „moralische Verpflichtung“ den eigenen Eltern gegenüber für einen „fairen Lebensabend“. Wahrscheinlich musste Gabriel die Sprache der Gefühle bemühen, weil die Rente mit 63 das Potenzial zur bürokratischen Zeitbombe hat: Fast jeden Tag wird die Öffentlichkeit mit neuen sechsstelligen Zahlen aufgeschreckt, wenn es um den Kreis künftiger Frührentner geht. Arbeitsministerin Andrea Nahles hat alle Hände voll zu tun, damit das sozialdemokratische Herzensprojekt nicht aus dem Ruder läuft. Womöglich werden künftige Rentner eidesstattliche Versicherungen abgeben müssen, weil wichtige Arbeitsamtsakten aus den 60er und 70er Jahren geschreddert worden sind.
Ohnehin muss man sich die Frage stellen, ob die vorgezogene Rente tatsächlich das drängendste Problem im demografischen Katastrophenstaat Deutschland ist. Gabriel hatte im Vorfeld der Koalitionsverhandlungen noch auf einen anderen Punkt hingewiesen: 50 Prozent der neuen Arbeitsverhältnisse seien derzeit befristet, sagte er bei einem Gewerkschaftstag am 12. November 2013. „Das müssen wir in Deutschland endlich wieder umdrehen.“
Gabriels moralische Verpflichtung endete hier allerdings bei warmen Worten. Dabei hatte der SPD-Chef das Problem erkannt. Die Zahl der befristeten Arbeitsverträge ist in Deutschland stark gestiegen – von 1,7 Millionen im Jahr 2000 auf 2,7 Millionen im vergangenen Jahr. Knapp zehn Prozent aller Beschäftigten sind inzwischen befristet angestellt. Das wirkt zunächst nicht sonderlich skandalös – doch hinter den Zahlen verbirgt sich ein Generationenkonflikt, der ebenfalls viel mit „Fairness“ zu tun hat. Darauf haben kürzlich Jobforscher der Bundesagentur für Arbeit hingewiesen. Vor zwei Wochen meldete die Nachrichtenagentur Reuters: „Für junge Deutsche ist der Einstieg in die Arbeitswelt schwieriger geworden.“ Es war eine Nachricht, die nicht richtig in die Geschichte vom neuen deutschen Wirtschaftswunder passte. Junge Beschäftigte aus den 1980er-Jahrgängen arbeiteten demnach sehr viel kürzer in der gleichen Firma als Berufsanfänger, die noch in den 60er Jahren geboren wurden. Der Jobforscher Thomas Rhein wird mit dem Fazit zitiert: „Die Beschäftigungsrisiken verlagern sich hin zu den Jüngeren.“
Das nämlich wird in der Debatte über den vorzeitigen Ruhestand oft unterschlagen: Wer vor drei oder vier Jahrzehnten ins Berufsleben eingestiegen ist, hat meist nicht nur auf einem höheren Gehaltsniveau angefangen. Für ihn war auch das unbefristete Arbeitsverhältnis die Regel. Bei jungen Arbeitnehmern heute ist das oft anders. Da wird nicht nur der erste Job als verlängerte Probezeit befristet vergeben. Es kommt auch danach zur sogenannten Verkettung von befristeten Verträgen. Arbeitsrechtlich ist das zwar umstritten – wenn eine Firma aber spezielle Gründe geltend macht, zum Beispiel die Bindung an ein bestimmtes Projekt, lässt sich das Gesetz leicht umgehen. Am beliebtesten sind Zeitverträge übrigens in der staatlichen Verwaltung und an Hochschulen, mehr noch als in der privaten Wirtschaft.
Nun könnte man sagen, dass sich die Jungen nicht so haben sollen, dass ein gewisses Risiko zum Leben gehört. In seinem gerade erschienenen Buch „Generation Maybe“ beschreibt der Autor Oliver Jeges die Ungewissheit sogar als bewusstes Lebensgefühl: „Wir wollen die guten Seiten der Festanstellung: bezahlter Urlaub, Kranken-, Arbeits- und Rentenversicherung, Betriebsrat. Zugleich wollen wir die Freiheit der Eigenverantwortung: tun und lassen können, was man selbst will.“
Nur: Diese Ungewissheit hat auch damit zu tun, dass an anderer Stelle Risiken gescheut werden. Für eine generelle Aufweichung des Kündigungsschutzes würde vermutlich keine Bundesregierung eine Mehrheit bekommen. Viele Firmen setzen aber genau deshalb auf die Befristung bei den Jüngeren: weil sie so bei schlechterem Geschäft besser Personal abbauen können.
Übrigens sind gerade zwei Gruppen besonders von befristeten Jobs betroffen: schlecht Ausgebildete und Akademiker. Und da schließt sich der Kreis zur Rente mit 63. Denn vor allem jungen Akademikern wird ja vorgeworfen, dass diese zu wenig Kinder bekämen und sich generell zu wenig binden würden. Die Aussicht, sich immer wieder neue Jobs suchen zu müssen, macht es nicht besser.