zum Hauptinhalt
Die ukrainische Armee kämpft für die Einheit ihres Staates gegen prorussische Separatisten.
© dpa

Krise in der Ukraine: Reiche Arbeiterführer

Über das Schicksal der Ukraine entscheiden die Oligarchen – nicht Kiew oder Moskau. Da ist eine Niederlage für alle, die auf dem Maidan für mehr Demokratie gekämpft hatten.

Die Krise in der Ukraine gleicht einem Drama in mehreren Akten, bei dem sich unerwartet neue Regisseure einmischen. Sie räumen die zuvor von anderen planvoll inszenierten Kulissen beiseite und öffnen den Blick für unterschätzte Mitspieler.

Vor einer Woche sah es noch so aus, als würde die Ostukraine in einen Bürgerkrieg gleiten. Nach Slowjansk und Kramatorsk kam es in Mariupol zu Gefechten mit Toten. Das passte zu der gängigen Interpretation, die Ukraine sei zweigeteilt in einen proeuropäischen Westen samt der Hauptstadt Kiew und einem sich nach Russland orientierenden Osten – wobei Moskau mit offenen und verdeckten Taten die Entwicklung diktiere. Mit den „Volksabstimmungen“ im Donezker Gebiet und in Lugansk – auch wenn die eine Farce waren – schien sich die Abspaltung ganzer Regionen und ihr Anschluss an Russland abzuzeichnen. Doch dann tauchten in Mariupol Stahlarbeiter auf und vertrieben die bewaffneten Milizen. Müsste da nicht das Herz jedes Sozialdemokraten höher schlagen? Arbeiterbrigaden als Ordnungsmacht, die durch Patrouillen mit der Polizei den Frieden retten?

Mariupol markiert eine wichtige Wende kurz vor der Präsidentenwahl: die Selbstbehauptung ukrainischer Kräfte gegen russischen Zugriff. Auch die Runden Tische unter Vorsitz des Deutschen Wolfgang Ischinger deuten in diese Richtung: mehr Einfluss den Ukrainern, weniger Manipulation von außen. Es ist jedoch keine Wende zu mehr Demokratie. In Mariupol zeigt sich, wer die wahren Machthaber sind. Oligarchen wie Rinat Achmetow. Er besitzt die Betriebe, er kommandiert die Arbeiter.

Warum hat er nicht früher eingegriffen, wenn er mächtiger ist als Moskau und die prorussischen Milizen? Die vorige Entwicklung lief seinen Interessen nicht völlig zuwider. Die ukrainischen Oligarchen wollen den entscheidenden Einfluss in ihren jeweiligen Regionen behalten. Dazu gehört es, die Zentralregierung in Kiew zu schwächen und mehr Autonomie für die Regionen zu fordern. Was Russland seit Monaten tat – die Destabilisierung der Ostukraine und der sichtbare Beweis, dass Kiew dort nichts zu sagen hat –, nützte den Oligarchen, ohne dass sie in Erscheinung treten mussten. Keinesfalls wollen sie jedoch ihre Regionen an Russland anschließen. Dort riskieren sie Michail Chodorkowskis Schicksal: Enteignung und Gefängnis. Deshalb hat Achmetow diese Dynamik in Mariupol gestoppt.

Für die deutsche Ukraine-Politik heißt das: Die Ukraine ist nicht so sehr in Ost und West gespalten, sondern in sieben, acht oder neun Regionen mit unterschiedlichen Interessen. Die wahren Machthaber sind dort die Oligarchen. Wer den Frieden und gewaltsame Grenzverschiebungen verhindern will, muss mit ihnen reden, auch wenn sie unappetitliche Partner sind.

Die Präsidentenwahl am Sonntag wird ein Oligarch gewinnen, Petro Poroschenko. Das ist eine Niederlage für alle, die auf dem Maidan für mehr Demokratie gekämpft hatten, also sowohl gegen das korrupte prorussische Janukowitsch-System als auch gegen die Oligarchen. Wie es aussieht, muss erst mal die Ukraine als Staat gerettet werden. Die Wende zur Demokratie wartet als nächste Aufgabe.

Zur Startseite