Leipzigs Oberbürgermeister über Sachsen: "Rassismus ist die bestimmende Ideologie in vielen Orten"
Sachsen hat ein Problem mit Rassismus, schreibt Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung. Das offen auszusprechen, sei ein erster Schritt. Ein Gastbeitrag.
Wir haben in Sachsen ein Problem mit Fremdenfeindlichkeit und Rassismus. Dies ist ein sehr schrecklicher Satz und ein ganz einfacher. Er beschreibt nichts anderes als die Realität, dieser eine Satz verdichtet alle Zahlen und Statistiken, die wir kennen.
Ich fände es auch schöner, wenn wir in Sachsen diesen Satz nicht aussprechen müssten. Aber es nicht zu tun führt eben nicht dazu, dass die Situation eine andere wäre oder anders wird. Wir haben in Sachsen deutschlandweit, absolut und auf die Einwohnerzahl bezogen, die meisten Übergriffe auf Asylunterkünfte. Im Freistaat gibt es mehr als 70 „Nein-zum-Heim“-Initiativen, mehr als in jedem anderen Bundesland.
In zahlreichen Regionen ist Rassismus Alltag, es ist die bestimmende Ideologie in vielen Orten. Wir können und müssen heute feststellen: Der Satz von Kurt Biedenkopf, die Sachsen seien immun gegen Rassismus, ist wie jede Verallgemeinerung falsch. Und politisch ganz falsch ist es, Menschen, die sich gegen Rassismus engagieren, zu gängeln. Es herrscht in Sachsen eine Atmosphäre, in der sich Menschen, die sich für andere einsetzen, rechtfertigen müssen.
Rassismusbekämpfung muss Priorität sein
Die Fakten liegen also auf dem Tisch, die Statistiken sind einsehbar, sächsische Behörden haben sie zum Teil sogar selbst erhoben - und zugleich wird das Land von einer Regierung geführt, deren Ministerpräsident sich weigert, die Realität in ihrem schrecklichen Umfang anzuerkennen. Stattdessen erklärt dieser öffentlich, er habe andere Prioritäten, als sich gegen Pegida zu engagieren. Herr Tillich, welche andere Priorität kann es geben?
In Sachsen hält man die massenhafte Funkzellenüberwachung bei Gegenprotesten für ein legitimes Mittel, man überwacht aber nicht die Gida-Hetzer. Und zugleich stört man sich nicht daran, dass verängstigte Flüchtlinge und weinende Kinder aus einem Bus gezerrt werden. Auf die Idee, den wütenden Mob in Clausnitz mit einer Polizei-Hundertschaft von der Straße zu räumen, war im Innenministerium offenbar niemand gekommen. Das ist unglaublich beschämend!
Sagen, was ist
Diesen einen Satz „Wir haben in Sachsen ein Rassismus-Problem“ auszusprechen, ist der erste Schritt, mit der Krise umzugehen. Ich habe als Oberbürgermeister in Leipzig in den zurückliegenden Monaten zwei Erfahrungen gemacht: 1. Sagen, was ist. Und 2. eine klare Haltung zeigen gegenüber Menschen, die das Grundrecht auf Asyl infrage stellen.
Es kommen nicht Syrer, Afghanen, Iraker und Marokkaner zu uns nach Deutschland – es kommen Menschen. Menschen in ihrer ganzen Unvollkommenheit. Es kommen liebenswürdige Menschen und es kommen Menschen, die mit unseren Wertvorstellungen nichts anfangen können.
Es kommen Hochqualifizierte und es kommen Menschen, die sich nicht um Gesetze scheren. Diese Wahrheit muss man aussprechen und man muss als Politiker darüber auch mit den Bürgern ins Gespräch kommen. Wer bei uns Hilfe vor Krieg und Verfolgung sucht und sich an Recht und Gesetz hält, dem wollen wir helfen.
Dies steht nicht zur Diskussion und deswegen kann es einen Dialog mit den Wortführern von Pegida und Legida nicht geben. Wer dazu aufruft, Eliten mit „Mistgabeln“ aus ihren Büros zu vertreiben, hat sich selbst aus dem demokratischen Diskurs verabschiedet. Sehr wohl reden wir mit Menschen in Furcht und mit Ängsten.
Zuwanderung kann – wenn wir uns der Aufgabe der Integration mit aller Kraft stellen - eine Chance sein, vor allem in einem schrumpfenden Land wie Sachsen. Leipzig legt seit Jahren wirtschaftlich zu, eben weil die Bevölkerungszahl rasant wächst. Woher soll denn die Wertschöpfung kommen, wenn in wenigen Jahrzehnten statt vier nur noch drei Millionen Menschen zwischen Leipzig und Görlitz wohnen, wie es die Statistiker vorausberechnen?
Menschen, die hier nicht leben, schaffen hier auch keine Arbeitsplätze, sie zahlen keine Steuern und sie bekommen auch keine Kinder. Wenn wir in Sachsen nichts tun und uns in einer Biedermeier-Puppenstube in einer Modelleisenbahnwelt verkriechen, dann wird dieses Land in ein oder zwei Generationen ein altes und armes Land sein. Ich möchte das nicht. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass das jemand in der Staatskanzlei möchte.
Deutschland hat es seit Jahrzehnten versäumt, ein Einwanderungsgesetz zu verabschieden. Jetzt sind die Menschen hier, ganz ohne Gesetz. Gehen wir damit um! Beheimaten wir wir diese Menschen, nutzen wir ihre Stärken. Und gehen wir mit der ganzen Härte des Gesetzes gegen die vor, die Demokratie und Rechtsstaat bedrohen, indem sie die Würde des Menschen mit Füßen treten.
Der Gastautor: Burkhard Jung (SPD) ist seit März 2006 der Oberbürgermeister von Leipzig.
Burkhard Jung