Wahl in Hessen: Politische Experimentierstube
Die hessischen Parteien blicken nach Berlin, um Zeit zu gewinnen - und um aus der Bundes-Koalition Konsequenzen zu ziehen.
Zeit ist in Hessen der entscheidende Faktor. Bis Mitte Januar kann die amtierende hessische Landesregierung geschäftsführend im Amt bleiben. Das ist für alle von Vorteil, weshalb sowohl Christ- als auch Sozialdemokraten am Tag nach der Landtagswahl dezent darauf hinweisen, dass es möglicherweise lange, monatelange Verhandlungen und Gespräche bis zu einer Regierungsbildung geben könnte. Das soll keine Drohung sein, sondern die Möglichkeit bieten, erst mal zu beobachten – nicht die eigenen Gespräche, sondern die im Bund.
Was in Berlin passiert, kann unmittelbare Folgen für Hessen haben. Weniger, um den Bund nachzuahmen, im Gegenteil: Vor allem SPD und Grüne könnten Hessen nutzen, um ein Gegenmodell zum Bund aufzubauen.
Kommt es im Bund beispielsweise zu einer großen Koalition, könnte die SPD, zumal der linke hessische Landesverband, bestrebt sein, die rot-rot-grüne Option zu ziehen, um zu zeigen, dass man als Gesamtpartei sowohl in der Mitte (Bund) als auch beim linken Lager (Hessen) anschlussfähig ist. Auch in der Berliner Parteiführung wird man diese Doppelstrategie sicher reizvoll finden. Gleichzeitig könnte eine große Koalition aber für die Grünen wiederum ein Signal sein, sich von der SPD abzusetzen und mit der CDU ein schwarz- grünes Bündnis einzugehen. Käme es im Bund dagegen zu Schwarz- Grün, könnte das die Bereitschaft der SPD in Hessen erhöhen, auch eine große Koalition einzugehen. Die Grünen in Hessen wiederum könnten dann gewillt sein, Rot- Rot-Grün in ihr Repertoire aufzunehmen.
Und die CDU? Volker Bouffier wäre im Fall einer großen Koalition im Bund eher geneigt, mit den Grünen zu koalieren, würde ihm das doch noch den Anstrich eines Avantgardisten verleihen. Und welches Bundesland würde sich besser für Experimente eignen als Hessen. Hier schmiedeten SPD und Grüne einst die erste Koalition auf Landesebene.
Vor allem der Sozialdemokrat Thorsten Schäfer-Gümbel steht nun vor einem Drahtseilakt. Er hat zugelegt, und wie: sieben Prozentpunkte. Anders als die Bundes- SPD hat Schäfer-Gümbel mit seiner hessischen SPD die 30-Prozent-Marke geknackt. Er hat seinen Landesverband stabilisiert, selbst an Popularität und Einfluss gewonnen. Möglicherweise beerbt er demnächst Klaus Wowereit in dessen Funktion als SPD-Vize. Eigentlich alles gut für den Hessen, und doch könnte er am Ende mit leeren Händen dastehen. Rot-Rot- Grün hat er – anders als seine Vorgängerin Andrea Ypsilanti – nicht ausgeschlossen. Aber die Geister von 2008 sind vielen noch präsent, als der rot-rot-grüne Versuch krachend scheiterte.
Die Vorbehalte gegen die CDU sind in Hessen aber ungleich größer. Schäfer-Gümbel hat gesehen, wie man es nicht macht. Vielleicht telefoniert er jetzt öfter mit Hannelore Kraft. Sie hat in Nordrhein- Westfalen gezeigt, wie man zu Rot- Grün kommen kann – über eine Tolerierung durch die Linken.