Die Deutschen und die NSA-Affäre: No-spy-Abkommen: Keines ist besser als ein falsches
Die Mehrheit der deutschen Politiker fordert einen gegenseitigen Verzicht auf Spionage mit den USA. Sinnvoll aber wäre nur ein Abkommen, das prinzipienfest und alltagstauglich zugleich ist. Andernfalls Nein zu sagen, wäre aus deutscher Sicht keine Niederlage.
Verletzter Stolz ist selten ein guter Ratgeber, schon gar nicht in den internationalen Beziehungen. Das Gefühl der Kränkung weckt den Wunsch nach Kompensation, nach Strafe für den Urheber und verstärkter Anerkennung der eigenen Position. Überzogene Erwartungen führen jedoch meist nur zur nächsten Enttäuschung. So macht sich der Gekränkte zum zweiten Mal zum Opfer. Dieses Muster wiederholt sich im deutschen Umgang mit der NSA-Abhöraffäre.
Über die eine Seite sind sich eigentlich alle in Deutschland einig. US-Dienste haben Dinge getan, die unter engen Partnern inakzeptabel sind, zum Beispiel die Kanzlerin und andere Regierungsmitglieder abgehört. Sie haben mutmaßlich auch deutsches Recht gebrochen, indem sie Deutsche von deutschem Boden aus ausgespäht haben. Dafür sprechen starke Indizien, unumstößlich bewiesen ist es freilich nicht. (Wenn die US-Dienste die Daten nämlich jenseits der deutschen Grenzen abgreifen, ist dies nicht strafbar; das mag man bedauern, aber so ist die Rechtslage.) Jedenfalls hatte Deutschland Anlass genug zu protestieren, Aufklärung zu verlangen und eventuell Strafermittlungen einzuleiten.
Der Wunsch nach Kompensation ging jedoch weiter: Die erdrückende Mehrzahl der deutschen Politik und des deutschen Kommentariats forderte ein „No-spy“- Abkommen – meist ohne zu erläutern, was das Hauptziel und der Inhalt sein sollen. Für die einen war es der Wunsch nach einer Deutschland aufwertenden Gleichbehandlung mit anderen engen Spionage-Verbündeten der USA, den so genannten „Five Eyes“: neben den USA, Australien, Großbritannien, Kanada, Neuseeland. Andere sahen in „No spy“ ein Mittel, den Amerikanern Grenzen aufzuzeigen oder ihnen gar deutsche Vorstellungen als bindende Maßstäbe aufzuerlegen.
Jetzt, da ein solches Abkommen womöglich nicht zustande kommt, klagen dieselben, die es gefordert hatten, dies sei eine Niederlage, die – je nach Standpunkt – entweder der Kanzlerin anzulasten sei oder den bösen Amis, die angeblich „uns belogen“ haben über die Erfolgsaussichten.
Das kann man freilich auch anders sehen. War die Fixierung auf „No spy“ klug? Liegt eine Gleichbehandlung mit den „Five Eyes“ im deutschen Interesse? Will unser Land sich an denselben Methoden beteiligen, die zwischen Amerikanern, Australiern, Briten, Kanadiern und Neuseeländern üblich sind? Wenn nicht – und viele „No-spy“-Forderer lehnen diese Methoden doch ab –, wäre es ein wünschenswerter Akt deutscher Souveränität, ein solches Abkommen abzulehnen. Falls hingegen die Vorstellung war, Deutschland könne den Amerikanern auf diesem Weg die Spielregeln internationaler Spionage diktieren, wie steht es dann um den Realitätssinn solcher Ratgeber?
Sinnvoll ist nur ein Abkommen, das prinzipienfest und alltagstauglich zugleich ist. Zu den Mindestprinzipien zählen die Zusicherungen, dass beide Seiten die Regierungsmitglieder des Partners nicht abhören oder ausspähen, keine Industriespionage im Partnerland betreiben (was im Fall der USA ohnehin kein so großes Problem ist wie in Ländern mit vielen Staatsbetrieben wie Frankreich oder China) und dass sie bei Aktivitäten im Partnerland nicht gegen das dort geltende Recht verstoßen, darunter: keine Deutschen in Deutschland abhören.
Trauen sich deutsche Politiker, ihren Bürgern begründete Ausnahmeklauseln zu erklären?
Freilich verlangt jedes Prinzip nach Präzisierung oder Ausnahmen in begründeten Fällen. Zwei Beispiele: US-Dienste dürften den Sicherheitsberater der Kanzlerin nicht abhören. Was aber, wenn der mit seinem saudischen oder pakistanischen Kollegen telefoniert, den die USA aus – wie sie meinen – guten Gründen belauschen? Dann würde der Deutsche zwar nicht gezielt, aber indirekt abgehört. Nach anderen „No-spy“-Abkommen wäre das kein Verstoß, sondern wird geduldet. Ausnahmeklauseln vom Prinzip, keinen deutschen Staatsbürger in Deutschland abzuhören, verlangen die Amerikaner auch, falls es sich um einen Terrorverdächtigen mit deutschem Pass handelt.
Solche Fälle werden durch Migration immer häufiger. In Sicherheitskreisen gilt auch diese Klausel als üblich. Die Frage ist, ob deutsche Politiker sich trauen, ihren Bürgern begründete Ausnahmeklauseln zu erklären. Kein „No-spy“-Abkommen ist besser als eines, das im Alltag nicht respektiert wird, weil die vereinbarte Praxis den Deutschen zu weit und den Amerikanern nicht weit genug geht. Dazu Nein zu sagen, ist keine Niederlage, sondern eine Behauptung der eigenen Werte.