Generationenwechsel in Deutschland: Nehmt die jungen Politiker ernst
Der Juso-Vorsitzende wird als Milchgesicht bezeichnet, die Anti-Groko-Bewegung als Zwergenaufstand. Der Umgang mit denen, die eine Erneuerung bringen könnten, ist absurd. Ein Kommentar.
Jeder redet über sie, alle wollen sie und die Zukunft einiger Parteien hängt allein von ihr ab: die Erneuerung. Ein Begriff, zentral für eine Zeit, in der die Politik in alten Strukturen verharrt, wohl wissend, dass sie nicht mehr funktionieren. Doch stehen dann junge Erneuerer vor der Tür und machen Lärm, bereit alles auf den Kopf zu stellen und umzukrempeln, passiert das, was mit ihnen in der Öffentlichkeit eben allzu oft passiert: Sie werden belächelt. Man nimmt sie nicht ernst.
„Kevin ganz groß“ oder „SPD-Milchgesicht probte schon im Fußballklub den Aufstand“, lauten die Schlagzeilen über den Juso-Vorsitzenden Kevin Kühnert, 28 Jahre alt, bei Tagesschau und „Bild“. Kühnert, den Maybrit Illner in ihrer Talk-Show hin und wieder auch Kleinert nannte. Unbekannter Neuer. Was soll’s. „Sehr aufgeregtes Mädchen von den Jusos bekommt mehr Applaus als Martin Schulz“, twittert unterdessen Peter Huth, Chefredakteur der „Welt am Sonntag“ und meint damit Annika Klose, 25 Jahre alt, voll berufstätig und Landesvorsitzende der Jusos Berlin.
Milchgesicht, Politiker, Mädchen, Politikerin, die Grenzen scheinen fließend. Von einer Realität, in der auch die Generation U-30 selbstverständlich zum Politikbetrieb gehört, ist das Land weit entfernt. Dass Sandra Maischberger als deutsche Journalistin den österreichischen Kanzler Sebastian Kurz (31) in einem Interview fragt, ob er einen Studentenausweis besitze, passt in dieses Bild.
Der durchschnittliche Abgeordnete ist 49,4 Jahre
Der Diskurs spiegelt die im Bundestag sitzende Wirklichkeit wieder. Eine Wirklichkeit, in der Politik alt ist. Der durchschnittliche Abgeordnete ist heute 49,4 Jahre alt, nur 12 der 709 Politikern sind unter 30. Parlament, alt, vorwiegend männlich sucht jung, dynamisch, gerne weiblich, das wäre eine berechtigte Anzeige. Doch die Anzeige bleibt aus.
Stattdessen versuchen sich die bereits Etablierten selbst zu stärken, indem sie nachfolgende Generationen kleinreden. Alexander Dobrindt spricht vom „Zwergenaufstand“, Julia Klöckner betont, dass auch die Junge Union "ein bisschen Freiheit" habe und eine Republik blickt völlig überrascht auf die Jusos, die plötzlich im Geschehen mitmischen.
Wie wichtig dieses Mitmischen ist, zeigt der nun sichtbar werdende Generationenstreit innerhalb der SPD. Ein Streit, der uns als Lehrstück der Demokratie vorführt, wie unterschiedliche Positionen aufeinandertreffen und kontrovers argumentiert werden. Der zeigt, dass selbstverständlich auch die unter 30-Jährigen ernst zu nehmen und alles andere als Kinder sind, die sich auf dem politischen Spielplatz austoben. Es sind nicht Alter und Schlips, die gute Staatskunst ausmachen.
Demokratie lebt, wo Debatten entstehen. Debatten entstehen durch Diversität. Und Diversität bringen in einen alternden Politikbetrieb die Jungen. Die damit einhergehende Erneuerung ihrer selbst, stünde den Parteien nicht schlecht. Es ist an der Zeit.