Kolumne "Ich habe verstanden": Nackte Hindernisläufer und Moderatoren auf den Tischen
Eine Moderatorin steigt auf den Tisch, ein Hindernisläufer zieht sich aus: es gibt in dieser Woche Schlimmeres, findet unser Autor. Ein Kommentar.
„Die Lage“, so erfuhr ich Freitagmorgen im „Tagesspiegel“, „ist ernst.“ Das sagte Monika Herrmann, Bezirksbürgermeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg – die Frau zeigt sich besorgt über die Entwicklung. Und es gibt ja so einiges, über das man besorgt sein kann, aber Herrmann ist vor allem besorgt wegen den Touristen, die vom Maybachufer bis zur Frankfurter Allee jeden Tag eine Schneise der Verwüstung hinterlassen würden. Herrmann fordert unter anderem Gummirollen für Ziehkoffer.
Es gab in dieser Woche noch so einiges andere, das schief gelaufen ist, zum Beispiel wurde bei der Leichtathletik EM dem Sieger des Hindernislaufes die Goldmedaille wieder weggenommen, weil ich sich 50 Meter vor dem Ziel das Trikot ausgezogen hat. Man spricht von unsportlichem Verhalten, deshalb wurde Protest eingelegt, aber ich bin mir nicht sicher, was unsportlicher ist: das Ausziehen des Trikots oder der Protest. Aber es scheint eh gerade nicht die Zeit für Gesten zu sein: Gesten kommen nicht gut an. Gegen Gesten wird gerade stark protestiert.
„Oh Captain, mein Captain!“
Am Dienstagabend, am Ende der „tagesthemen“, stand die Moderatorin Caren Miosga auf dem Schreibtisch. So moderierte sie den Nachruf von Ingo Zamperoni auf Robin Williams an, ihre Tischmoderation war ein Zitat aus dem Williams-Film „Der Club der toten Dichter“, in dem er einen Lehrer in einem erzkonservativen Internat spielt, der seinen Schülern eine andere Sicht auf die Welt beibringen will, eine andere Sicht auf das Leben, auf die Liebe und auf die Poesie. Er wird, natürlich, entlassen, und als letzten Gruß steigen seine Schüler auf die Tische und sagen „Oh Captain, mein Captain!“
Ein letzter Gruß also. Eine Geste. Einige, unter anderem ich, waren davon begeistert. Andere unter anderem einige Kollegen, waren das nicht. Das allerdings mit einer Vehemenz, die ich nicht verstehe. Irgendwo las ich, dass diese Geste ja „nichts kosten“ würde, sie sei leer, hohl. Woanders las ich, dass Miosga doch bitte einfach die Nachrichten vorlesen solle – aber da hat jemand nicht verstanden, dass die Nachrichten bei der „tagesschau“ um 20 Uhr vorgelesen werden; bei den „tagesthemen“ moderieren Journalisten, im besten Fall tun sie das mit Haltung, ordnen ein. Nichts anderes tat Miosga, die 20 Jahre alt war, als „Der Club der toten Dichter“ im Kino lief. Der Film muss ihr, wie so vielen anderen, etwas bedeutet haben (auf „Spiegel Online“ stand ein kluger Text darüber, wie „Der Club der toten Dichter“ eine Generation geprägt hat) – und für diese Menschen war die Geste von Miosga weder hohl noch leer, sondern angebracht und fast schon zwangsläufig.
Abgesehen davon, sorgte sie für einen großen Fernsehmoment – allerdings scheinen manche schon so viel Distanz zum Fernsehen zu haben, dass sie diese Momente nicht mehr erkennen oder nicht mehr erkennen wollen. Meistens sind das dieselben, die über das Fernsehen schimpfen, es für genau so hohl und leer halten. Menschen, denen man es eh nicht recht machen kann.
Eine Moderatorin steigt auf den Tisch, ein Hindernisläufer zieht sich aus: es gibt, auch wenn manche das nicht wahrhaben wollen, Schlimmeres. Leider gab es in der vergangenen Woche aber auch wenig Besseres.
Matthias Kalle
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