Kolumne: Dr. Wewetzer: Mit den eigenen Waffen
Wenn es darum geht, Freund und Feind auseinanderzuhalten, leistet die Körperabwehr Erstaunliches. Ein ausgeklügeltes System sorgt dafür, dass Krankheitserreger erkannt und bekämpft werden und körpereigenes Gewebe verschont wird.
Jedenfalls meistens. Leider nutzen Krebszellen das, um unter dem Radarschirm des Immunsystems unerkannt hindurchzuschlüpfen. Aber damit könnte bald Schluss sein. Eine neue Generation von Krebsmedikamenten soll die Beißhemmung der Immunzellen beenden. Die Ergebnisse, vorgetragen auf dem Treffen der amerikanischen Krebsspezialisten in Chicago, lassen hoffen.
Das Besondere an den Wirkstoffen ist, dass sie sich nicht direkt gegen den Tumor richten, sondern die Körperabwehr anregen. Sie blockieren Andockstellen (Rezeptoren) der Krebszellen an den Immunzellen. Über diese Kontakte gelingt es dem Tumor in der Regel, die misstrauischen Zellen der Körperpolizei zu beruhigen. Der Krebs unterdrückt auf diese Weise das Immunsystem. Die Arzneimittel besetzen die Kontaktpunkte auf den Immunzellen und beenden damit die Sabotage durch die Tumorzellen. Ein großer Vorzug dieser Behandlung besteht darin, dass sie im Prinzip bei etlichen verschiedenen Krebsarten eingesetzt werden kann. Nämlich immer dann, wenn Tumoren das Immunsystem einschläfern, was oft der Fall ist. Erprobt wurden die Mittel vor allem bei schwarzem Hautkrebs, dem Melanom, in fortgeschrittenem Stadium. Das ist ein Tumor, bei dem das Immunsystem eine besonders große Rolle spielt.
Getestet wurde die Substanz Lambrolizumab, die 135 Patienten alle drei Wochen gespritzt bekamen. Dabei handelt es sich um einen Antikörper. Das Eiweißmolekül blockiert die PD-1-Andockstelle auf den T-Zellen des Immunsystems. Damit wird eine molekulare Blockade der Körperabwehr entfernt, und bei knapp 40 Prozent der Patienten konnte der Krebs zurückgedrängt werden, berichtet Omid Hamid von der Angeles-Klinik im kalifornischen Santa Monica im Fachblatt „New England Journal of Medicine“.
In einer zweiten Studie mit 86 Melanom-Patienten wurden Wirkstoffe kombiniert, nämlich der PD-1-Blocker Nivolumab und die Substanz Ipilimumab. Sie besetzt die Andockstelle CTLA-4 und schaltet damit eine weitere Bremse des Immunsystems aus. Wie sich zeigte, war diese Doppelbehandlung mit Antikörpern noch erfolgreicher als eine Einfachtherapie, schreiben Jedd Wolchok vom Memorial Sloan-Kettering Cancer Center in New York im „New England Journal“.
Bisher ist nicht klar, wie sehr die Medikamente das Leben schwerkranker Patienten verlängern können oder ob sogar Heilungen möglich sind. Auf der anderen Seite kann ein entfesseltes Immunsystem auch den gesunden Teil des Organismus attackieren, die Folge können bedrohliche Nebenwirkungen sein. Doch es ist ermutigend, dass eine Generation von Medikamenten heranreift, die sich planvoller Erforschung der molekularen Grundlagen von Krebs verdankt und die Kranken neue Perspektiven eröffnen kann.
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