Kinder in Deutschland: Lasst den Eltern Zeit
Die Deutschen bekommen wieder mehr Kinder, meldet das Statistische Bundesamt. Das ist aber nicht das Verdienst der Politik.
Philipp Jonathan kann noch gar nicht zählen, er ist erst 14 Wochen alt. Deshalb sagt ihm die Zahl, über die sich Politiker aller Parteien nun freuen oder echauffieren, erst einmal gar nichts: 1,39. So hoch lag im Jahr 2010 die durchschnittliche Kinderzahl pro Frau in Deutschland, wie das Statistische Bundesamt dieser Tage mitgeteilt hat. So hoch oder so niedrig? Einerseits übermitteln die Statistiker die höchste Quote seit 1990, andererseits bleibt Deutschland EU-Schlusslicht. Um einen Bevölkerungsrückgang zu verhindern, müssten hier statt 1,39 rund 2,1 Kinder auf die Welt kommen.
Nun sind die Deutschen geübt darin, bei jedem Ausschlag nach oben oder unten in der Statistik gleich die Systemfrage zu stellen. Ist das Elterngeld, vor gerade einmal vier Jahren eingeführt, wirklich richtig? Ist das Klima zum Kinderkriegen gut genug? Auffallend an der Debatte ist, dass sich kaum jemand darüber freut, dass der Trend nach oben geht und es wieder mehr Geschwister gibt. Zudem tobt die Deutungsschlacht noch immer in den gleichen Gräben wie bei der Einführung des Elterngeldes. Die CSU mäkelt, CDU- Politiker und neuerdings sogar der Unions-Fraktionschef im Bundestag: Sie wollen ihre milliardenschwere Herdprämie haben, die die Erziehung zu Hause statt in der Kita fördern soll – offenbar im Glauben, dass solch ein Weg zurück der richtige ist, um konservatives Profil zurückzugewinnen. FDP-Leute – teilweise die gleichen, die sich vor nicht allzu langer Zeit für den eine Milliarde teuren Mehrwertsteuerrabatt für Hoteliers stark gemacht haben – machen sich nun Sorgen wegen der vier Milliarden Euro, die das ganze Kindergedöns kostet. Deren Generalsekretär Christian Lindner nennt die Hilfen Ausdruck eines „bürokratisch verholzten Wohlfahrtsstaates“. Wäre es da nicht ein gutes Zeichen, bei jungen Eltern zu sparen? Integrationsexperten verweisen darauf, dass Deutschland sein Geburtenproblem ohnehin nie in den Griff bekommen werde. Besser sei deshalb gesteuerte Zuwanderung in großem Stil.
Eines ist doch klar: Niemand in Deutschland bekommt nur deshalb Kinder, weil der Staat Elterngeld zahlt. Doch dass der Staat Mütter und auch Väter zum ersten Mal in der Geschichte honoriert, ist und bleibt ein einzigartiges Signal für werdende Eltern. Es beginnt gerade erst, seine Wirkung zu entfalten. Mehr und mehr Väter entscheiden sich, eine Weile zu Hause zu bleiben. Unabhängige Bevölkerungsexperten sprechen schon jetzt von einer Trendwende, die sich auch in der Geburtenstatistik niederschlägt. Jedes Instrument, das der Staat schaffen kann, braucht aber Jahre, um tatsächlich zu wirken. Es ist wie in der Schulpolitik. Da will auch niemand, dass jede neue Regelung Jahr für Jahr wieder infrage gestellt wird. Wichtiger als ständiges Lamentieren ist deshalb eine ehrliche Bestandsaufnahme über Wirkung und Folgen aller familienpolitischen Instrumente – übrigens auch des Ehegattensplittings, das nicht arbeitende Hausfrauen übermäßig bevorzugt – und eine Anpassung des Elterngeldes an die gesellschaftlichen Realitäten. Das braucht Zeit, Fachleute sprechen von mindestens zehn Jahren. Die sind aber noch längst nicht um.
Philipp schreit, er will auf den Arm. Kommende Woche hat Papa mehr Zeit, dann beginnen seine beiden Vätermonate. Gelegenheit genug, um über die Frage nachzudenken: Lohnt es sich, in einem Land mit solchen Debatten ein Geschwisterchen zur Welt zur bringen?
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