Rechts-Kolumne "EinSPRUCH": Kein Recht für Außenseiter
Frankreichs Burka-Gesetz ist ein schlechter Witz. Leider hat der der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte es nun abgesegnet
Zwei Frauen haben versucht, Europa zu retten, jedenfalls im Kleinen. Es hat nicht geklappt. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat Frankreichs Anti-Burka-Gesetz durchgewunken, nur die deutsche Richterin Angelika Nußberger und ihre schwedische Kollegin Helena Jäderblom wollten es aufhalten. Aus dem Urteil der Richtermehrheit spricht die Politik, aus dem Sondervotum der Frauen das Recht. Schade und bedenklich, dass man nicht auf sie hören wollte.
Frankreichs Gesetz ist ein schlechter Witz. Es tarnt sich als religionsneutral und verbietet Gesichtsverhüllungen aller Art, betrifft aber nur eine überschaubare Zahl muslimischer Frauen. Für andere Verhüllungen, vom Motorradhelm bis zum Karneval, gibt es Ausnahmen. Der EGMR meint, das Gesetz verfolge dennoch ein legitimes Ziel: „Living together“, zusammen leben. Ein schöne Formel, für Sonntagsreden. Um Menschenrechte einzuschränken, taugt sie nicht.
Zusammenleben heißt in einer pluralistischen Gesellschaft vor allem, sich nicht die Köpfe einzuschlagen. Ansonsten sind die Spielräume eher groß. Jeder darf sich aussuchen, ob er schweigt oder spricht. Wen er mag und was er anzieht. Es steht so nicht in der Menschenrechtskonvention, doch Nußberger und Jäderblom nennen es „the right to be an outsider“ – jeder hat das Recht, ein Außenseiter zu sein. Frankreich hat es einem Teil seiner Bürgerinnen abgesprochen.
Um das Gesetz zu rechtfertigen, machen die Richter die Gesichtserkennung zum Gemeinwohlgebot, weil sie das Zwischenmenschliche fördere. Dies in einer Zeit, in der sich Männer ihre Gesichter zuwachsen lassen und sich mit Riesenbrillen über Smartphones beugen, statt sich mit ihrem Nächsten ins Gespräch zu vertiefen. Außerdem: Auch mit Kosmetik kann man ein Gesicht verschleiern. Nach dieser Logik wäre Mode ein Gesellschaftsfeind, und Kopfhörer gehörten verboten.
Zurückhaltung gehört zum Geschäft des EGMR, er soll den Staaten ihren Frieden lassen. Bis zu dem Punkt, an dem der Konsens über Europas Menschenrechtsverständnis aufgebrochen wird. So verhält es sich hier. Die Parlamentarische Versammlung des Europarats, sein Menschenrechtsbeauftragter, sie alle haben sich gegen ein generelles Schleierverbot ausgesprochen, halten es für unverhältnismäßig. Keiner der anderen 46 Europaratsstaaten plant Vergleichbares. Unter der Herrschaft des Grundgesetzes wäre es undenkbar. Nußberger und Jäderblom weisen auf diesen Konsens hin, den die Richtermehrheit negiert, nur, um das gewünschte Ergebnis erreichen zu können.
Das Urteil bleibt hoffentlich ein Ausreißer. Wie das Gesetz. Man kann lange darüber streiten, ob der Islam zu Deutschland gehört. Fest steht: Frauen gehören zu Europa. Auch die, die einen Schleier tragen.
Jost Müller-Neuhof
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