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Das Ende. Viele möchten selbst bestimmen, wann es kommen soll.
© dpa

Freiwillig in den Tod: Kein Ausweg auf dem letzten Weg

Ein neuer Vorschlag will die Sterbehilfe ganz in die Hände von Ärzten legen - eine Dienstleistung bei medizinischer Indikation, der Abtreibung nicht unähnlich. Der Entwurf hat Chancen auf Akzeptanz. Trotzdem könnte es besser sein, auf Gesetze vorerst zu verzichten

Die Unmöglichkeit, ein gutes Gesetz zur Sterbehilfe zu machen, liegt in der Unterschiedlichkeit des Sterbens. Jeder fühlt, jeder leidet und doch stirbt wohl jeder anders, hat eine andere Sicht auf sein Ende. Dem Tod als finalem Akt der Individualität gerecht zu werden, stellt den Gesetzgeber jenseits der Diskussionen christlicher, kultureller oder ethischer Prinzipien vor eine von Anfang an unlösbare Aufgabe. Ein Gesetz soll typisieren, Kategorien bilden, Sachverhalte bündeln. Das klappt fast immer. Nur beim Tod nicht, von dem es paradoxerweise heißt, er mache alle gleich.

Trotzdem soll es versucht werden, der Bundestag will einen neuen Anlauf unternehmen. In der Rezeption eines jetzt von Juristen und Medizinern unterbreiteten Vorschlags zeigt sich, wohin nach Meinung vieler die letzte Reise gehen soll: In die Hände der Ärzte, die ihrerseits bestimmten Qualifikations-, Dokumentations- und Aufklärungspflichten unterworfen werden sollen. Zugleich wird die – bisher erlaubte – Beihilfe zum Suizid verboten. Ein Arzt jedoch, der sich allen Regeln fügt, oder Angehörige, die helfen wollen, handeln „nicht rechtswidrig“ oder machen sich „nicht strafbar“.

Wer, wenn nicht Ärzte? Tatsächlich klammern sie sich an ihr Standesrecht, das sie beauftragt, Leben zu erhalten. Nicht, es zu beenden. Der neue Entwurf will den Konflikt mildern und die neue Tätigkeit nur jenen überantworten, die sie ausführen wollen.

Wen das alles in allem an eine weitere strafrechtliche Bewältigung unauflösbarer Kollisionslagen erinnert, den Schwangerschaftsabbruch, der liegt nicht falsch. Ärzte können das machen, sie müssen aber nicht. Und sie handeln straffrei, wenn der Abbruch „verlangt“ wird oder „nach ärztlicher Erkenntnis angezeigt ist“. Rund 100 000 Föten werden in Deutschland jährlich abgetrieben, Tendenz sinkend. Das einst umkämpfte Thema, bei dem die Selbstbestimmung ebenfalls im Mittelpunkt stand, ist zu einer abrufbaren medizinischen Dienstleistung geworden. Die Kirchen haben sich seitdem beruhigt, die Gesellschaft zeigt sich befriedet. Man redet ungern drüber, am wenigsten die Betroffenen. Das war es dann aber auch.

Wer möchte, mag dies als Beleg dafür heranziehen, dass Ähnliches auch bei der Sterbehilfe gelingen könnte, nach dem Motto: Der Nächste, bitte. Das Vertrauen in den Arztberuf ist groß, das Sterben in Krankenhäusern so normal wie zu Hause. Allerdings gibt es einen wichtigen Unterschied. Die Abtreibung zu regeln, ist unausweichlich, die Grauzonen, die das Thema umgaben, gefährdeten Leben. Ärzte würden sagen: Die Situation war akut. Die Sterbehilfe kommt dagegen bisher ohne Regeln aus, dank veränderter Rechtsprechung und ärztlicher Verantwortung. Kann sein, dass Stillstand eine Lösung ist, wenn es keinen Ausweg gibt.

Jost Müller-Neuhof

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