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USA, Ohio, Richfield: US-Präsident Donald Trump winkt vor seiner Rede in der Local 18 Richfield Training Facility.
© Foto: Pablo Martinez Monsivais/AP/dpa

Populisten und Autokraten: Ist das Zeitalter der Demokratie zu Ende?

Eine Flut von Büchern legt nahe, die Epoche der Demokratie gehe zu Ende. Was an dieser Erzählung nicht stimmt und warum sie gefährlich ist. Ein Essay.

Ein Essay von Anna Sauerbrey

Vielleicht haben Sie es noch gar nicht bemerkt, aber die Demokratie liegt im Sterben. Wir stehen am Beginn einer neuen, mindestens illiberalen, wenn nicht sogar autokratischen Epoche – und zwar nicht nur in Asien, Lateinamerika oder Nordafrika. Sondern auch hier, mitten im Westen!

So zumindest erzählen immer mehr kluge Köpfe die Gegenwart. Kaum eine Woche vergeht, ohne dass ein zeitdiagnostischer Text vor dem Zusammenbruch warnt. Die „liberale Demokratie zerfällt in ihre Bestandteile“, schreibt der deutsch-amerikanische Harvard-Dozent Yascha Mounk in seinem Buch „Der Zerfall der Demokratie“, das im Februar erschienen ist. Die Lage sei „dramatisch“, „neu“ und „beängstigend“.

Auch die Harvard-Professoren Steven Levitsky und Daniel Ziblatt fürchten sich. „Ist unsere Demokratie in Gefahr?“, fragen sie mit Blick auf die Vereinigten Staaten in „How Democracies Die – Wie Demokratien sterben“, das im Mai auf Deutsch erscheint. Es sei „Frühling für Autokraten“, raunt der Außenpolitikberater Henri J. Barkey im Magazin „The American Interest“.

Der britische Publizist Edward Luce warnt in „The Retreat of Western Liberalism – Der Rückzug des westlichen Liberalismus“: „Die westliche liberale Demokratie ist noch nicht tot, aber dem Zusammenbruch viel näher, als viele es sich wünschen mögen.“ Und Jan Zielonka, Professor für Europäische Politik am St. Antony’s College in Oxford, stellt fest: „Wir erleben eine Gegenrevolution.“ Man könnte das fortsetzen.

Lange hielt man die Demokratisierung für das "Ende der Geschichte"

Die Erzählung vom Untergang der Demokratie hat etwas Dramatisches, düster Anziehendes. Man traut sich kaum, es nicht zu glauben. Dabei gibt es einiges, das gegen die These vom Epochenumbruch spricht. Aber ergründen wir zuerst das Gefühl der Apokalypse.

Die globale Erfolgsgeschichte der Demokratie begann Mitte der 70er Jahre mit der „dritten Welle“. 1974 waren nur etwa ein Drittel aller Staaten Demokratien. Bis Mitte der 2000er Jahre wurde nach Zählung des Politikwissenschaftlers Larry Diamond in fast 61 Prozent der Länder weltweit gewählt, 41 Prozent zählt er Stand 2000 sogar zu den liberalen Demokratien, also Staaten, die neben Wahlen weitere Kriterien der Demokratie erfüllen, etwa die Rechte des Einzelnen besonders schützen.

Als die Mauer fiel, die Sowjetunion sich zerlegte und sich osteuropäische Länder auf den Weg der Demokratie machten, verbreiteten sich Zeitenwendegefühle. In einem berühmten Essay in „The National Interest“ stellte Francis Fukuyama fest: „Wir erleben nicht nur das Ende des Kalten Krieges oder das Ende einer bestimmten Epoche der Nachkriegsgeschichte, sondern das Ende der Geschichte an sich: Das heißt, den Endpunkt der ideologischen Evolution der Menschheit und die weltweite Verbreitung der westlichen liberalen Demokratie als endgültige Form menschlicher Regierung.

Heute erleben wir nach Lesart vieler Autoren das Ende vom Ende der Geschichte. Seit Mitte der 2000er Jahre, schrieb der Mitgründer des „Journal of Democracy“, Larry Diamond, 2015 in einem viel zitierten Text, habe bei der Verbreitung demokratischer Systeme auf der Welt zunächst Stagnation eingesetzt, dann eine „sanfte Rezession“. Ab dem Jahr 2000 habe es 25 „Breakdowns“ demokratischer Systeme gegeben, darunter Russland, die Ukraine und die Türkei. Diese Zahl hat Eingang in viele zeitdiagnostische Texte gefunden, etwa in Luce’ Buch „The Retreat of Western Liberalism“.

USA, Ohio, Richfield: US-Präsident Donald Trump winkt vor seiner Rede in der Local 18 Richfield Training Facility.
USA, Ohio, Richfield: US-Präsident Donald Trump winkt vor seiner Rede in der Local 18 Richfield Training Facility.
© Foto: Pablo Martinez Monsivais/AP/dpa

2011 keimte mit dem Arabischen Frühling noch einmal Hoffnung auf. Mit einem Schuss Sarkasmus könnte man sagen, der Westen dachte, wenn nun sogar die arabischen Kulturautokraten verstehen, was gut und richtig ist, ist noch was drin für die Demokratisierung. Doch dann fiel Ägypten zurück in die autoritäre Barbarei.

Trumps Standpunkt: Uns doch egal, ob die anderen demokratisch sind

Die Wahl Donald Trumps hat die einsetzende Depression verstärkt. Die USA fallen heute gleich doppelt aus: Aus dem Geschäft der Demokratisierung haben sie sich nach den blutig gescheiterten Versuchen im Irak und in Afghanistan schon unter Barack Obama zurückgezogen. Donald Trump bekräftigt mit seiner nationalen Sicherheitsstrategie: Uns doch egal, ob die anderen demokratisch sind, es gibt nur Länder, die unsere Interessen teilen, und solche, die es nicht tun.

Auch als Vorbild für werdende demokratische Gesellschaften verlieren die USA ihre Strahlkraft, meinen viele. Stattdessen entsteht neue Systemkonkurrenz. China zeigt, wie man wirtschaftlich erfolgreich sein kann, ohne gleich demokratisch sein zu müssen – trotz gut ausgebildeter Mittelschicht. Das Pendel der Geschichte schlägt zurück.

Begründet wird das auch mit echten oder vermeintlichen Zersetzungsprozessen innerhalb der westlichen Demokratien. Yascha Mounk schreibt, in vielen westlichen Ländern erkalte die Liebe der Bürger zur Demokratie. Die Zustimmungswerte würden in den USA und Europa fallen, autoritäre Alternativen würden als immer attraktiver betrachtet. Besondere Demokratieskepsis meint er unter jüngeren Wählern festzustellen. Daraus schließt er: „Die Jugend wird uns nicht retten.“ Und: „Vermeintlich konsolidierte Demokratien scheinen sich immer mehr zu entkonsolidieren.“

Yascha Mounk sieht die Liebe der Bevölkerung zur Demokratie erkalten

Gleichzeitig sieht Mounk ein Auseinanderfallen von Demokratie und Recht. Liberale Demokratien garantieren Gewaltenteilung, organisieren Beteiligung und schützen gleichzeitig die Grundrechte des Einzelnen vor der möglichen Willkür der Mehrheit. Diese Einheit ist laut Mounk bedroht: Wenn es nach den Populisten ginge, gäbe es Demokratien ohne Recht, also demokratische Institutionen, aber keinen Schutz der Rechte des Einzelnen. In Technokratien wie im Griechenland der Finanzkrise oder der Europäischen Union erkennt Mounk „Recht ohne Demokratie“. Die Rechte des Einzelnen werden zwar geschützt, aber es gibt keine echte Bürgerbeteiligung.

Andere Autoren sorgen sich um die demokratische Kultur an der Spitze westlicher Staaten. In „Wie Demokratien sterben“ entwickeln Levitsky und Ziblatt Kriterien für eine Art Frühwarnsystem, das beim Wandel demokratischer in autokratische Staaten Alarm schlagen soll. Levitsky hat den politischen Wandel in Lateinamerika studiert, Ziblatt die europäische Geschichte. Aus ihren historischen und zeithistorischen Beobachtungen leiten sie vier Warnzeichen ab. Erstens: Die späteren Autokraten weisen die demokratischen Spielregeln zurück. Zweitens sprechen sie politischen Gegnern die Legitimität ab, zum Beispiel, indem sie sie als Gefahr für die nationale Sicherheit beschreiben. Drittens tolerieren sie Gewalt oder rufen dazu auf. Und sie schränken, viertens, die Freiheiten ihrer Gegner oder der Medien ein.

Donald Trump trägt Züge eines Autokraten

Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass Donald Trump in vielen Kategorien Punkte sammelt: Er stellte die Legitimität der Wahl und seiner Gegenkandidatin infrage („Millionen“ Stimmen seien ungültig gewesen, Hillary Clinton sei „crooked“, eine Betrügerin), er attackiert die Medien, indem er versucht, ihre Glaubwürdigkeit zu untergraben, und einige seiner Äußerungen lassen sich als Gewaltaufrufe lesen, etwa als er während des Wahlkampfes sagte, die Waffenrechtsaktivisten könnten ja vielleicht etwas tun, sollte Hillary Clinton die Wahl gewinnen. Es gebe also durchaus Grund zur Sorge, Amerika könnte autokratische Züge annehmen, schließen Levitsky und Ziblatt.

Was gegen die These vom Untergang der Demokratie spricht

Aus der demokratischen „Rezession“, den Erfolgen der Populisten und inneren Zersetzungsprozessen ergibt sich scheinbar ein Gesamtbild, das nach Epochenumbruch aussieht. All das eignet sich bestens für eine große Erzählung und Bücher mit knalligen, apokalyptischen Titeln – die sich, wie die Verlagsbranche weiß, eben am besten verkaufen. Doch im Detail stört einiges das Bild.

Seine These von der zunehmenden Skepsis der Bürger gegenüber der Demokratie hat Yascha Mounk bereits 2016 und 2017 mit seinem Koautor Roberto Foa in einem Artikel für das „Journal of Democracy“ vorgestellt, begleitet von einem Text in der „New York Times“ mit Grafiken, die den Abfall des Enthusiasmus dramatisch aussehen ließen. Der Artikel schlug hohe Wellen, die Grafiken verbreiteten sich viral.

Viele Elemente der Untergangsthese sind in der Wissenschaft umstritten

In der Wissenschaft allerdings ernteten die Autoren viel Widerspruch. Zu den Kritikern gehörte die renommierte Populismus-Forscherin Pippa Norris. Sie fällte ein harsches Urteil über den Umgang mit den Daten und die daraus gezogenen Schlüsse. Es gebe, anders als von Mounk und Foa behauptet, kein einheitliches europäisches Muster, wie die Bürger die „Leistungskraft“ ihrer jeweiligen Demokratien bewerten. Auch eine demokratische Sinnkrise unter den Bürgern der nächsten Generation – und damit eine schwarze Zukunft – kann sie nicht feststellen. Mounks Fallauswahl sei „selektiv“. Unter den Trump-Wählern seien viele ja gerade älter gewesen. Keine Belege gebe es auch für die These, in den westlichen Demokratien würden allgemein Institutionen verfallen, die individuelle Rechte schützen.

Der niederländische Politikwissenschaftler Erik Voeten, der an der Georgetown-Universität in Washington lehrt, kam zu ähnlichen Schlüssen. Ein Kritikpunkt unter vielen: Der „World Value Survey“, eine der Grundlagen für Mounks Argumentation, erhebt die Zustimmung zur Demokratie auf einer Skala von eins bis zehn. Foa und Mounk hatten in ihren Grafiken lediglich ein volle zehn als Zustimmung und alle anderen Antworten negativ gewertet. So entstanden beeindruckende Kurven.

Anna Sauerbrey leitet das Ressort Causa/Meinung des Tagesspiegels.
Anna Sauerbrey leitet das Ressort Causa/Meinung des Tagesspiegels.
© Kai-Uwe Heinrich/Tsp

Auch die Frage, ob die jüngsten Wahlerfolge populistischer Parteien der Anfang eines „populistischen Zeitalters“ sind, wird durchaus kontrovers diskutiert. Wissenschaftler, die die gesamte Nachkriegsgeschichte betrachten, neigen eher dazu, die Geschichte des Populismus in Europa als zyklisch zu beschreiben. 2013 veröffentlichte einer der bekanntesten unter ihnen, Cas Mudde, einen Artikel mit dem Titel „Drei Jahrzehnte populistischer, radikal rechter Parteien in Westeuropa: Na und?“

Schon damals warnten Zeitschriften und Politiker vor einer populistischen Welle. Mudde zeigte, dass es einen so eindeutigen Trend nicht gibt – was die Wahlergebnisse angeht, die Anzahl populistischer Parteien in westeuropäischen Parlamenten und ihren Einfluss auf politische Inhalte. Dieses Bild von 2013 hat sich mit den Wahlen der letzten Jahre verändert. Dennoch ist immer noch denkbar, dass die aktuellen Erfolge krisenbedingt sind und sich als Teil des Zyklus herausstellen werden.

Um die Frage, ob es heute weniger Demokratien gibt als Mitte der 2000er Jahre, wird gestritten

Schließlich wird auch über die Frage, ob die Zahl der Demokratien tatsächlich weltweit rückläufig ist, gestritten. Levitsky und Ziblatt zum Beispiel äußern sich in „Wie Demokratien sterben“ skeptisch zur Diagnose einer globalen Rezession. Rückfälligen Ländern wie Ungarn, der Türkei und Venezuela stünden noch immer Länder gegenüber, die tendenziell demokratischer würden, so etwa Kolumbien, Sri Lanka und Tunesien. Die meisten etablierten Demokratien seien stabil: „Auch, wenn die europäischen Demokratien viele Probleme haben, von schwachen Volkswirtschaften bis zu Anti-Einwanderungsbewegungen, so gibt es doch wenige Belege für jene fundamentale Erosion der Normen, wie wir sie in den USA sehen.“

Das Bild vom globalen Rückzug der Demokratie funktioniert zudem am besten, wenn man nicht zwischen Staaten, in denen demokratisch gewählt wird, und Staaten mit fortgeschrittenen, liberalen Demokratien unterscheidet. Dann lässt sich etwa auch Russland zitieren, das sich vom demokratischen Weg „wieder“ abwende. Aber gab es nach 1989 wirklich ein liberal-demokratisches Russland?

Warum die Erzählung vom Ende der Demokratie gefährlich ist

Also doch kein Ende vom Ende der Geschichte?

Noch immer prägt die teleologische Sichtweise eines Francis Fukuyama (die Geschichte hat ein Ziel) die Interpretationen des Geschehens – zunehmend mit umgekehrten Vorzeichen. Das apokalyptische Gefühl ist das einer Generation, die sich auf der ewigen Gewinnerseite der Geschichte wähnte. Edward Luce beschreibt, wie er 1989 mit anderen Studenten nach Berlin fuhr, um die offene Mauer zu sehen. Champagnerkorken knallten. „Wir wurden angesteckt vom Optimismus. Wir nannten es Fortschritt – der Glaube daran war das, was im modernen Westen der Religion am nächsten kam.“ Die vergangenen Jahre haben diesen Glauben erschüttert. Der Westen befindet sich in der religiösen Krise.

Die Gegenwart ist natürlich tatsächlich voller Probleme. Donald Trump zertrampelt die politische Kultur der USA. Populistische Parteien gewinnen. Aber was ist die beste Interpretation dieser Ereignisse? Mounk sieht sein Buch als Weckruf. Die Kritik daran interpretierte er in einer Replik als natürliche Reaktion als jener, die sich einfach gedanklich nicht vom Paradigma des demokratischen Fortschritts verabschieden mögen.

Natürlich wäre Blindheit gegenüber der Dramatik der Realität gefährlich. Doch in der Stilisierung der Gegenwart zum Epochenumbruch steckt auch eine Gefahr: Die westlichen Demokratien reden sich in die Depression und helfen damit der Gegenseite. Es ist ja gerade die Erzählung von Schwäche und Dekadenz, die die Populisten stark macht. So droht das Ende vom Ende der Geschichte zur selbsterfüllenden Prophezeiung zu werden.

Dabei erlaubt gerade eine differenzierte Betrachtungsweise auch das Erkennen von Gegenmitteln, wie sie alle Autoren benennen. Levitsky und Ziblatt zum Beispiel stellen fest, dass der Versuch, autoritäre Kräfte einzubinden und zu „zähmen“ aus historischer Perspektive ein Misserfolg war. Es sei besser, ungewöhnliche Koalitionen unter demokratischen Koalitionspartnern zu bilden, auch starke konservative Parteien seien effektiv.

Yascha Mounk schlägt vor, die Kritik der Populisten an der Unzugänglichkeit demokratischer Macht, an abgeschotteten Eliten und ihre Forderung nach mehr direkter Demokratie ernst zu nehmen: als Wunsch der Wähler nach Transparenz und Beteiligung. Ein wichtiger Vorschlag. Nur in der Geschichte vom epischen Ringen zwischen Gut und Böse findet er keinen Platz.“

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