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Erinnerungsstücke der DDR.
© dpa.

Merkels Leben in der DDR: In Dauerspannung

Angela Merkel und "Die Legende von Paul und Paula": Warum wir uns dafür interessieren sollten, wie es einer jungen Physikerin in den achtziger Jahren an einem Institut der Ostberliner Akademie der Wissenschaften erging.

Die DDR sei zu einer Fußnote geworden, sagte Stefan Heym, verbittert über den Ausgang der Märzwahl 1990. Angesichts der Debatte, die sich an einen Filmbesuch der Bundeskanzlerin nebst anschließendem anekdotischem Smalltalk über eine Jugend im ersten Arbeiter- und Bauernstaat angeschlossen hat, könnte man den Eindruck haben: Diese Fußnote ist ziemlich lebendig.

Aber in Wahrheit geht es gar nicht um das Staatswesen DDR, das damals tatsächlich zu einem Thema der Geschichte wurde. Lebendig, sprich die Gemüter bewegend, ist ein anderes Thema – das Leben in und mit der DDR und was von ihm zu halten ist.

Dazu passt das Kuriosum, dass es offenbar eines Filmes wie der „Legende von Paul und Paula“ bedarf, um – notabene: zum soundsovielten Male – zu entdecken, dass auch in der DDR geliebt, gefeiert und gelegentlich auf den Putz gehauen wurde. Zu diesem Moment des heiteren Einverständnisses gehört freilich auch, dass es – wie man sieht – sogleich umschlägt in eine Endlosschleife des Rechtens und Rechtfertigens. Die DDR-Vergangenheit wird durchdekliniert anhand der bekannten Kategorien von Dafür- und Dagegen-Sein. Hat einer mitgemacht oder wenigstens versucht, sich herauszuhalten? In der Kulisse steht, selten formuliert, aber irgendwie heimtückisch gegenwärtig, die Frage, wie denn der Staat DDR so lange existieren konnte, wenn die Gesellschaft mehrheitlich mit ihm nichts am Hute hatte?

Soll man deshalb nicht nachfragen, was jemand damals gemacht und gedacht hat? Natürlich soll man. Es kann vielleicht sogar nützlich sein, sich dafür zu interessieren, wie es einer jungen Physikerin in den achtziger Jahren an einem Institut der Ostberliner Akademie der Wissenschaften erging, einer Baracke in Adlershof, kein Westreise-Kader, 1012 Mark netto, und was es dabei bedeutete, wenn man in der FDJ für Kultur und Agitation zuständig war. Nur wird man bei solchem Schürfen in der Vergangenheit nur weiterkommen, wenn man sich klarmacht, was die DDR war: eine Dauerspannung zwischen einem diktatorischen System und einer im Grunde zivilen Gesellschaft. Die zur Parteinahme oder zur Auseinandersetzung werden konnte, aber doch über weite Strecken vor allem ein Arrangement war zwischen staatlich-parteilichem Druck und dem Versuch, ein eigenes Leben zu führen.

Was heißt da Mitläufer, was Kompromissbereitschaft, was Stunde der Wahrheit? Das ist mindestens ein weites Feld, auf dem ebenso Überzeugung wie Taktik, das Interesse an Absicherung, Ehrgeiz und das Bedürfnis nach sozialer Aktivität eine Rolle spielen können. Die immer wieder aufgeworfene Frage, wie weit man gehen durfte, gemessen am Maßstab moralischen Verhaltens, ist nur eine Seite dieser Existenzsituation einer ganzen Gesellschaft. Die andere Frage, die auch gestellt werden muss, ist die nach der Rechtfertigung des Sichbeteiligens an diesem Arrangement, ja, des Mitläufertums – und das über die längste Zeit im Bewusstsein der Dauerhaftigkeit der Existenz der DDR. Bedeutete es, zum Beispiel, schon die Stabilisierung eines auf Druck und Gleichschaltung gerichteten Systems, wenn einer ein guter Arzt/Ingenieur/Stadtrat sein wollte? Beginnt die Vorwerfbarkeit, wenn das menschliche Bedürfnis nach Selbstverwirklichung sich auf den beruflichen Erfolg oder – schon heikler – den Aufstieg richtete?

Man kann darüber streiten, ob und inwieweit die DDR ein Unrechtsstaat war. Nicht streiten kann man darüber, dass sie auch eine Gesellschaft war, die nach den Regeln einer Industriegesellschaft funktionierte und deren Mitglieder versuchten, ein „normales“ Leben nach den Gewohnheiten zu führen, wie sie sich in Mitteleuropa und speziell in Deutschland herausgebildet haben.

Das versteht sich von selbst? Aber weshalb geht dieser Gesichtspunkt so wenig ein in die Erörterung der Fragen und Fragwürdigkeiten, die die DDR den Deutschen hinterlassen hat? Die Folgen sind ärgerlich: Es ist die anhaltende, feine Nötigung – ausgesprochen oder unausgesprochen –, sich rechtfertigen zu müssen. Oder deren abrupte Abwehr, Merkelsche Fassung: „kann man mit leben“.

Weiter haben wir es, dreiundzwanzig Jahre nach der Wiedervereinigung, offenbar nicht gebracht. Dabei spricht manches dafür, dass die (Nach-)Wirkungskraft der DDR rapide schwindet. Aber mehr als eine Fußnote ist sie nach wie vor, und nur wenn man aufs Ganze der deutschen Geschichte blickt, wird man in ihr eine Episode sehen können, die in absehbarer Zeit aufzuarbeiten wäre. Gewiss verbietet sich der Vergleich dieser Vergangenheitbewältigung mit der des „Dritten Reiches“. Aber für die nächsten ein, zwei Generationen bleibt die DDR ein traumatisches Ereignis, und es wäre eine Selbsttäuschung, anzunehmen, die Beschäftigung mit ihr habe keine Konsequenzen für das Selbstverständnis des ganzen Deutschland.

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