Was WISSEN schafft: Impfen und schimpfen
Kinder sind durch den Impfstoffengpass nicht in Gefahr
Als Impfstoffhersteller braucht man gute Nerven – davon kann Glaxo Smith Kline (GSK) derzeit ein Lied singen. Zuerst rief die ganze Welt nach einem Serum gegen die Schweinegrippe. Doch dann ging die Diskussion über die Nebenwirkungen des Wirkverstärkers los. Dass der Impfstoff durch das Adjuvans für viermal so viele Menschen reicht, hielt kaum jemand dem Hersteller zugute, im Gegenteil: Weil GSK dadurch viermal so viel verkaufen konnte, galt der Konzern eher als besonders geschäftstüchtig. Zuletzt wollten Deutschland und andere Staaten den bestellten Impfstoff auf einmal nicht mehr haben – angesichts des Streits um die Nebenwirkungen und der meist milden Krankheitsverläufe ließen sich nur knapp zehn Prozent der Bevölkerung gegen die Schweinegrippe impfen.
Seit dem Wochenende ist Europas größte Pharmafirma schon wieder in den Schlagzeilen. Gleich mehrere GSK-Impfstoffe sind vorübergehend nicht lieferbar, unter anderem aufgrund von Engpässen, die durch die Produktion des Schweinegrippeserums entstanden sind. Problematisch ist das insbesondere bei „Infanrix hexa“, der einzigen zugelassenen Vakzine, die sechs der sieben von der Ständigen Impfkommission (Stiko) für das Säuglingsalter empfohlenen Impfungen auf einmal abdeckt. Die öffentliche Pharmaschelte folgte prompt: Ein Stiko-Mitglied wetterte, der Hersteller habe „keine Vorwarnung“ gegeben, obwohl es zu Infanrix hexa „keine Alternative“ gebe. Wolfram Hartmann, Präsident des Verbandes der Kinder- und Jugendärzte, setzte eins drauf: „Für Säuglinge ist das fatal“ – im Ärztedeutsch heißt das so viel wie „tödlich“.
Die Aufregung ist allerdings ziemlich übertrieben. Zwar schützt Infanrix hexa unter anderem gegen den Keuchhusten-Erreger Bordetella pertussis und gegen Haemophilus influenzae. Beide Bakterien sind in Deutschland weit verbreitet und können besonders bei Säuglingen zu schweren Erkrankungen und auch zu Todesfällen führen. Deshalb soll mit der Immunisierung im zweiten Lebensmonat begonnen werden. Zusätzlich enthält Infanrix hexa Komponenten gegen Tetanus, Diphtherie, Polio, Pneumokokken und Hepatitis-B.
Warum Neugeborene jetzt, wie Verbandspräsident Hartmann düster befürchtet, vier bis sechs Wochen auf die Impfung warten müssten, ist jedoch nicht nachvollziehbar. Laut GSK soll Infanrix hexa bereits ab 15. Februar wieder lieferbar sein. Bis dahin können sich Kinderärzte mit dem fast identischen Konkurrenzprodukt „Pentavac“ von Sanofi Pasteur MSD behelfen. In diesem Fünffachimpfstoff fehlt lediglich die Komponente gegen Hepatitis-B. Da diese (durch Blut übertragene) Viruskrankheit hierzulande im Säuglingsalter extrem selten ist, kann die Hepatitis-B-Impfung getrost im dritten Lebensmonat begonnen werden, wenn die Kinder ohnehin zum zweiten Mal geimpft werden. Bei besonderem Risiko, etwa wenn die Mutter eine Hepatitis-B hat, stehen Einzelimpfstoffe zur Verfügung, die zusätzlich mit Pentavac gegeben werden können.
Falls die Pentavac-Vorräte durch die erhöhte Nachfrage knapp werden sollten, müssten die Kinderärzte priorisiert nur noch bis zum zweiten Lebensmonat impfen und spätere Auffrischungen einige Wochen zurückstellen. Spätestens dann käme allerdings die Frage auf, warum mit der Rationierung der Säuglingsimpfstoffe nicht schon früher begonnen wurde. GSK warnte vor dem Lieferengpass bereits am 15. Januar. Damals hat niemand reagiert – auch nicht die Stiko oder der Verband der Kinder- und Jugendärzte.
Bei den Impfstoffherstellern bekommt paradoxerweise oft derjenige die meiste Schelte, der das beste Produkt verkauft. Gegen die Schweinegrippe konnte anfangs außer GSK niemand in größerem Umfang Serum liefern. Bei den Säuglingsimpfstoffen ist GSK deshalb ein Quasi-Monopolist, weil die Zulassung für das Konkurrenzprodukt (Hexavac von Sanofi) wegen fraglicher Wirksamkeit der Hepatitis-B-Komponente zurückgezogen wurde. Allerdings ist das Schmerzensgeld für den Ärger nicht gerade schlecht: Im Jahr 2009 fuhr der Pharmariese sieben Milliarden Euro Nettogewinn ein, die höchste Umsatzsteigerung verzeichnete das Impfstoffgeschäft.
Der Autor ist Institutsdirektor und Professor für Medizinische Mikrobiologie in Halle. Foto: J. Peyer
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