zum Hauptinhalt
Impfen ist besser als nicht impfen, ist der Bundesgerichtshof überzeugt.
© Getty Images/iStockphoto

Ein SPRUCH: Impfen für das Kindeswohl

Impfungen sind in der Gesellschaft umstritten. Was aber, wenn der Riss mitten durch ein Elternpaar verläuft?

Das Thema Impfungen spaltet die Gesellschaft. Zwar verläuft die Kampflinie nicht durch die mathematische Mitte, doch gibt es eine starke Minderheit von Impfgegnern. Sie wollen ihren Kindern den Schutz vor Masern, Röteln, Mumps, Windpocken, Polio oder Tetanus vorenthalten – und setzen damit sowohl die eigenen als auch fremde Kinder einer Infektionsgefahr aus. Viele Ärzte stören diese Eltern inzwischen. Nicht selten sind es ausgerechnet aufgeklärte, gut vernetzte Akademiker in den Stadtteilen der eher Bessergestellten. Impfeinsichtige leben erstaunlich oft in ärmeren Vierteln. Doch was ist, wenn der Riss nicht durch die Gesellschaft verläuft, sondern durch ein Elternpaar?

Mit dieser Frage musste sich kürzlich der Bundesgerichtshof befassen. Ein unverheiratetes Paar mit einer gemeinsamen Tochter stritt um die Frage, ob das Kind geimpft werden solle. Der Vater war dafür, er wollte den Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (Stiko) des Robert-Koch-Instituts folgen. Die Mutter war dagegen. Sie war der Meinung, das Risiko von Impfschäden wiege schwerer als das Infektionsrisiko, es liege eine „unheilvolle Lobbyarbeit von Pharmaindustrie und der Ärzteschaft“ vor.

Der Vater beantragte die Alleinübertragung der Gesundheitssorge. Genau dasselbe tat allerdings auch die Mutter. In einem solchen Fall entscheidet das Familiengericht – nicht die Sache selbst, das darf es nicht, sondern welches Elternteil in dieser Frage nun das Sagen haben soll. Zumindest gilt dieses Verfahren bei Angelegenheiten „von erheblicher Bedeutung“, also solchen, die nicht der Alltagssorge unterfallen. Das Recht auf Alltagssorge hatte in diesem Fall die Mutter, bei der die Tochter lebt.

Die Richter waren sich in insgesamt drei Instanzen einig: Die Impffrage ist von erheblicher Bedeutung, geht also über die Alltagssorge hinaus, und entscheiden soll sie der Vater, weil sein Vorschlag dem Kindeswohl besser gerecht wird.

Impfen ist also besser als nicht impfen. Dies gilt dem Fall zufolge, obwohl es keine gesetzliche Impfpflicht gibt. „Der Vater sei wegen seiner affirmativen Haltung bezüglich der Impfvorsorge besser geeignet, eine kindeswohlkonforme Entscheidung zu treffen“, zitiert der Bundesgerichtshof in seinem Beschluss das Oberlandesgericht Jena und folgt ihm sodann. Aus dem Fehlen einer gesetzlichen Impfpflicht sei keine staatliche Neutralität abzuleiten. Vielmehr entfalteten auch unterhalb der Schwelle gesetzlicher Ge- oder Verbote anzusiedelnde Verhaltensempfehlungen eine Leitwirkung, deren Beachtung für die Prüfung des Kindeswohls von Bedeutung sein könne. Im Grunde stärkt der Bundesgerichtshof damit die Linie, die an den Familiengerichten auch sonst vorherrscht: Das Kindeswohl steht über allem.

Zur Startseite