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Richards Gebeine auf dem Weg ins Museum. Tausende säumten den Weg in Leicester.
© Suzanne Plunkett/Reuters

Großbritannien vor der Wahl: Ihre eigene Geschichte

Die Briten verabschieden sich noch vor der Unterhauswahl vom Rest der Welt. Damit rückt der Brexit näher. Ein Kommentar

Ein Kommentar von Moritz Schuller

Wladimir Putin greift nach einem Stück der Ukraine, und wo sind die Briten? Die Griechen bringen Europa an den Rand des Untergangs, und was machen die Briten? Israels Premier Netanjahu irritiert mit Äußerungen zur Zwei-Staaten- Lösung, und was sagt der Nahost-Gesandte Tony Blair dazu? Die Briten sitzen zu Hause und beschäftigen sich mit der Frage, ob der pöbelnde BBC-Moderator Jeremy Clarkson rausgeschmissen gehört und dass Labour-Führer Ed Miliband nicht nur eine Küche hat, sondern zwei. Zwischendurch jubeln sie am Straßenrand den Gebeinen eines vor mehr als fünfhundert Jahren verstorbenen Königs zu. Wem auch sonst - im Wettbewerb der besten europäischen Fußballmannschaften sind keine Teams aus Großbritannien mehr vertreten.

Sind die Briten überhaupt noch in der EU?

Wüsste man es nicht besser, könnte man den Eindruck gewinnen, dass die Briten die Europäische Union bereits verlassen haben – so weit weg sind sie.

Wahlen führen überall zu nationaler Introspektion. Der Rückzug der Briten, die im Mai ein neues Unterhaus wählen, aus der internationalen Politik ist dennoch bemerkenswert. Denn dieses Desinteresse, mitten im Wahlkampf, macht deutlich, dass nicht nur die regierenden Konservativen um Abgrenzung bemüht sind; Labour macht die britische Außenpolitik und die Beziehung zur Europäischen Union lieber auch gar nicht erst zum Thema. Offenbar sind damit keine Wähler zu gewinnen.

Damit wird all jenen, die Europa ohne die Briten für politisch geschwächt halten, eines der letzten Argumente genommen. Es lässt die deutsche Kanzlerin, die in Europa nicht mit dem französischen Präsidenten allein gelassen werden will, allein mit dem französischen Präsidenten nach Minsk reisen. Statt sich einzumischen und zu beweisen, dass ohne die Briten in Europa nichts geht, machen sie sich selbst überflüssig.

"Frische Führung"

Wenig spricht dafür, dass sich an dieser Entwicklung nach den Wahlen etwas ändert. Premier David Cameron hat gerade ankündigt, für eine dritte Amtszeit nicht zur Verfügung zu stehen. Der konservative Politiker sagte am Montagabend der BBC, es gebe einen Zeitpunkt, an dem eine "frische Führung gut ist". Dass er die Bemerkung machte, während er in seiner Küche einen Salat zubereitete, mag er für eine elegante Anspielung auf die Küchendebatte seines politischen Gegners gehalten haben. In Wahrheit hat er sich mit seiner unnötigen Äußerung, noch vor der Wahl, zu einem Premier auf Abruf gemacht, zumal er auch gleich die Namen seiner potenziellen Nachfolger lieferte: Finanzminister George Osborne, Innenministerin Theresa May und Londons Bürgermeister Boris Johnson. Cameron will die Briten vor dem Referendum, das er ihnen versprochen hat, eigentlich leidenschaftlich von den Vorteilen einer britische Mitgliedschaft in der EU überzeugen. Dass er, mit drei Nachfolgern im Nacken, seine Partei bei diesem Thema noch hinter sich bringen kann, ist jedoch unwahrscheinlich.

Vor allem aber wird der Ausgang der Wahlen laut den aktuellen Umfragen keine starke Regierung hervorbringen. Die beiden großen Parteien sind gleichauf, und sie werden vermutlich auf einen Koalitionspartner angewiesen sein. Den klaren Sieger, lange Merkmal der britischen Wahlsystems, wird es nicht geben. Diese politische Zersplitterung bringt Großbritannien strukturell Europa vielleicht näher. Doch die mangelnde Eindeutigkeit, die mit solchen Allianzen einhergeht, wird eher den weiteren Rückzug beflügeln. Darauf können sich offenbar alle einigen. Damit vollzieht sich schleichend ein Brexit, der Abschied der Briten - und der würde die Europäische Union grundsätzlich infrage stellen.

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