Porträt: „Ich bin ein freies Radikal“
Die Kubaner dürfen seit kurzem ihr Land für Reisen verlassen. Eine der ersten, die davon Gebrauch macht, ist die Bloggerin Yoani Sánchez, bekannt als Chronistin der Mangelwirtschaft in ihrer Heimat.
Ich glaube es erst, wenn ich im Flugzeug sitze“, schrieb Yoani Sánchez noch vor einem Monat in ihrem Blog. Fünf Jahre lang hatte die kubanische Regierung ihr die Ausreise verweigert, insgesamt 20 Anträge wurden abgelehnt. Nun war es es so weit: Am Sonntagmorgen bestieg Yoani Sánchez in Havanna ein Flugzeug und traf in der Nacht im brasilianischen Recife ein.
Einer ihrer ersten Twitter-Einträge aus Brasilien lautet: „Viele Freunde heißen mich willkommen, andere rufen Beleidigungen. Es wäre toll, wenn man in Kuba das Gleiche tun könnte. Es lebe die Freiheit!“ Die 37-Jährige trug einen weiten Hippie-Rock und die hüftlangen Haare offen. Auf ihrem Rollkoffer prangte ihr Markenzeichen, ein eingekreistes „Y“.
Yoani Sánchez ist die bekannteste Regierungskritikerin Kubas. Ihr Instrument ist das Blog „Generación Y“. (Hier geht es zu einer deutschen Übersetzung). Dort beschreibt sie seit 2007 den surrealistischen Alltag Kubas zwischen Mangelwirtschaft und Repression. Zuletzt konnte man darin nachlesen, wie alles, was in Kuba an Verbesserungen eingeführt werde, zum Beispiel häufigere Busverbindungen, schon nach kurzer Zeit wieder genauso schlecht funktioniere wie vorher.
Weil die Mehrheit der Kubaner keinen Internetanschluss hat, ist Sánchez allerdings vor allem außerhalb der Insel bekannt. Dort hat man ihr zahlreiche Preise für ihr Blog verliehen, der mittlerweile in 20 Sprachen übersetzt wird. Doch zu Gesicht bekommen hat man sie nie. Kubanische Bürger müssen oft jahrelang auf eine Erlaubnis warten, die sogenannte „Weiße Karte“, um die Insel verlassen zu dürfen. Diese schien für Sánchez unmöglich zu bekommen zu sein – sie gilt als eine „Cybersöldnerin“ der USA.
Nun ist seit dem 14. Januar eine neue Regelung in Kraft: Kubaner brauchen zum Reisen nur noch einen Reisepass. Sánchez zögerte nicht, ihren zu beantragen. Sie ist jetzt 80 Tage lang unterwegs, und es scheint, als ob sie nachholen wolle, was ihr so lange verwehrt gewesen blieb. In Brasilien wird sie an der Präsentation des Dokumentarfilms „Conexión Cuba Honduras“ teilnehmen, in dem sie als Protagonistin auftritt. Dann reist sie über Peru und Mexiko in die USA und weiter nach Europa, wo sie in vielen Ländern Station machen will, darunter auch Deutschland. Sie wird über Kuba und die Pressefreiheit diskutieren, den Sitz von Google besuchen und ihr neues Buch vorstellen. Yoani Sánchez sagt über sich: „Ich bin ein freies Radikal."
Philipp Lichterbeck
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