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Erdogans Reden: Herrschaft über die Kinderbetten

Der türkische Ministerpräsident Erdogan hat es sich zum Prinzip gemacht, bei Deutschlandbesuchen als Meister der Zweideutigkeit zu brillieren. Er nährt erneut den Verdacht, er rede einer Art Staat im Staat von Türken in Deutschland das Wort.

Einen Tag vor dem Treffen mit Kanzlerin Merkel auf der Cebit begeisterte Recep Tayyip Erdogan in Düsseldorf 10.000 Anhänger mit einer ambivalenten Botschaft: Einerseits forderte er die Türken zur Integration auf, gleichzeitig warnte er sie aber, sich zu assimilieren. Die türkischen Kinder müssten erst Türkisch, dann Deutsch lernen, verlangte er: „Niemand wird in der Lage sein, uns von unserer Kultur loszureißen.“

Erneut nährt Erdogan damit den Verdacht, er rede einer Art Staat im Staat von Türken in Deutschland das Wort. Keine politische Kraft im Bundestag aber verlangt von den in Deutschland lebenden Türken, ihre Herkunft zu verleugnen und ihre Kultur aufzugeben. Ob sie das tun wollen oder nicht, ist allein ihre eigene Entscheidung. Und damit auch nicht die des türkischen Premiers.

Manche deutschen Politiker schienen nur auf Erdogans Auftritt gewartet zu haben, um ihn als Provokation zu verurteilen. Guido Westerwelle jedenfalls, als FDP-Chef eigentlich Fürsprecher eines türkischen EU-Beitritts, ließ sich auf den Streit über die Sprachhoheit in türkisch-deutschen Kinderbetten ein und verlangte, die Kinder müssten gefälligst erst Deutsch lernen. Für einen Liberalen eine bemerkenswerte Einmischung in die familiäre Privatsphäre. Steht es nicht allen Eltern dieser Welt frei, mit ihren Babys in der Sprache zu sprechen, in der sie ihre Gefühle am besten ausdrücken können? Da braucht es keine Vorgaben. Und kommt es nicht allein darauf an, dass Einwandererkinder die Sprache des Landes beherrschen, wenn sie in die Kita oder die Schule kommen? Am weitesten aber ging wieder die CSU, die forderte, den türkischen Botschafter einzubestellen. Angeblicher Empörungsgrund: Erdogan habe die Bundesregierung beleidigt, als er die Türkei als Schutzmacht für die in Deutschland und Libyen lebenden Türken bezeichnete.

Die teils schrille Reaktion überdeckt, dass die Signale dieses Erdogan-Besuchs von der Anmaßung seines Kölner Auftritts vor drei Jahren weit entfernt sind. Damals nannte der Gast Assimilierung ein „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“. Inzwischen nimmt der Ministerpräsident deutlich mehr Rücksicht auf die Wirklichkeit seines Gastlandes, das keinen Einwanderer daran hindert, Moscheen zu bauen, Großfamilien zu gründen oder Shisha zu rauchen.

Schon beim Berlin-Besuch im vergangenen Oktober hatte Erdogan im Beisein von Kanzlerin Merkel nicht nur seine Kölner Aussagen relativiert, sondern auch Hilfen seiner Regierung bei der Integration angekündigt. Integration sei Voraussetzung für ein „ friedliches Zusammenleben“, sagte er damals. Auf das Angebot ging die Kanzlerin ein. Integration geht schneller voran, wenn Ankara den Prozess nicht sabotiert, sondern ermutigt.

Berlin hat es mit einer Regierung in Ankara zu tun, die ihr Land mit Blick auf den erwünschten EU-Beitritt hin modernisiert, die demokratische Regeln respektiert und ein beachtliches Wirtschaftswachstum vorzuweisen hat. Die Türkei wird ihre regionale Vormachtstellung in den nächsten Jahren weiter ausbauen. Ihre Entwicklung kann zu einem Modell für die Vereinbarkeit von Islam und Demokratie werden. Das gilt um so mehr, als seit den Revolutionen in Nordafrika gleich mehrere islamische Länder ihren eigenen Weg in die Zukunft suchen.

Deutschland braucht die Türkei als Partner in der Integrationspolitik. Und es braucht die Türkei als strategisch wichtiges Mitglied der Europäischen Union. Im Umkehrschluss heißt das nicht, dass Rabatt für die Erfüllung von Standards wie die Sicherung der Religions-, Presse- und Meinungsfreiheit oder den Umgang mit Minderheiten gewährt wird. Doch es gibt auch keinen Grund, die Türkei in ihrem Wunsch nach Zugehörigkeit zu Europa ständig zurückzustoßen und die sachlichen Fragen nach der Erfüllung der Kriterien für den EU-Beitritt mit Forderungen aufzuladen, die nur an Überfremdungsängste deutscher Wähler appellieren.

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