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"Rassistischer Staat, rassistische Polizei, Schande über Euch" steht auf einem Schild bei der Gerhart-Hauptmann-Schule.
© dpa

Flüchtlinge in Gerhart-Hauptmann-Schule: Hans Panhoff ist nicht der grüne Bösewicht

Baustadtrat Hans Panhoff brach in Kreuzberg ein Tabu: Er bat die Polizei, eine von Flüchtlingen besetzte Schule zu räumen. Das macht hier ein Grüner nicht ungestraft. Manche hassen ihn nun dafür. Doch die Geschichte hat einen überraschenden Clou.

So viel Wut wie in den vergangenen Tagen haben die Grünen in Kreuzberg aus ihrem eigenen Milieu noch nie zu spüren bekommen. Auslöser dafür ist, was als Tabubruch empfunden wird: Ein Stadtrat der Grünen, Hans Panhoff,  ruft nach der Polizei, um eine von Flüchtlingen besetzte Schule räumen zu lassen, und die Bürgermeisterin der Grünen, Monika Herrmann, tut nichts dagegen. Sie bekamen es mit üblen Beschimpfungen und wüsten, persönlichen Drohungen zu tun, eine schlagartige Entfremdung. Die Gralshüter der besonderen Kreuzberger Verhältnisse waren plötzlich personae non gratae.

Die politischen Fehler, die zu dieser Situation führten: Sie haben die Dinge zu lange treiben lassen, ohne einen Plan B zu haben, und als ihnen Plan B frei Haus geliefert wurde, haben sie ihn nicht erkannt.

Es war zu erwarten gewesen, dass ein harter Kern der Flüchtlinge, angefeuert von "Unterstützern", die besetzte Schule nicht mit der Mehrheit der anderen freiwillig räumen würde. Vorbereitet darauf, was das bedeutet, war dennoch niemand. So kam es zum ersten Bruch: der vom Bezirksamt mit zu verantwortenden tagelangen Belagerung der Schule durch die Polizei, mit den damit verbundenen erheblichen Einschränkungen für die Anwohner und einer täglich wachsenden Aggression. Mit jedem Tag wuchs der Druck, das Bild kippte ins Surreale. Die Polizei twitterte Lageberichte und Truppenbewegungen, die Unterstützer der Flüchtlinge bauten "Volxküchen" und Massageliegen für erschöpfte Widerstandskämpfer auf. Den im Bezirksamt führenden Grünen war die Situation völlig entglitten. Erst wollten sie nicht handeln, jetzt konnten sie nicht mehr.

Was der Polizeipräsident dann tat, war eine Ungeheuerlichkeit

Den zweiten Bruch verursachte der Polizeipräsident. Mit ungerührter Dreistigkeit erklärte er zunächst im Innenausschuss, ob seine Leute die Schule stürmten oder abzögen, sei ihm, wörtlich: wurscht. Sodann verkehrte der Polizeipräsident, Leiter einer nachgeordneten Behörde, die tatsächlichen Zuständigkeiten mit einer atemberaubenden Chuzpe dermaßen ins Gegenteil, dass ein verfassungswacher Innensenator hätte einschreiten müssen. Doch der ließ ihn gewähren. So stellte der Polizeipräsident der Politik unwidersprochen ein Ultimatum. Das alleine schon ist in einem demokratischen Rechtsstaat eine Ungeheuerlichkeit. Die Polizei hat der Politik nicht zu sagen, was sie bis wann zu tun oder zu lassen hat, und zwar aus verdammt guten Gründen. Dass aber die Politik das auch noch mit sich machen lässt, ist eine Kapitulation.

Mit gutem Recht hätte sich das Bezirksamt eine solche Anmaßung unverzüglich verbitten müssen. Und es hätte, aus einer plötzlich wieder erstarkten Position heraus, auch verzichten können auf diesen ohnehin komplett übertriebenen Einsatz. So oder so, er lag offen da, der Plan B. Keine Lösung, das nicht, aber eine Entspannung, Zeitgewinn, Deeskalation. Doch die Bezirkspolitik wendete den Druck nicht ab auf die Führung der Polizei, sondern nahm ihn an, wie paralysiert.

Hans Panhoff hat als erster persönlich Verantwortung übernommen

So kam es zu jener denkwürdigen Sitzung des Bezirksamtes, bei der die Bürgermeisterin die Grenzen ihrer Zuständigkeit mit dem Abzeichnen von Urlaubanträgen beschrieb und der Baustadtrat etwas für die dortige Stimmung Spektakuläres tat: Er traf eine Entscheidung. Hans Panhoff, früher selbst Hausbesetzer und Organisator von "Soli-Konzerten" für inhaftierte Genossen, stand auf, ging hinaus und bat den Polizeipräsidenten darum, die besetzte Schule zu räumen.

Panhoff war damit, man mag es kaum glauben, in diesem Drama tatsächlich der erste, der ganz persönlich Verantwortung übernahm. Denn eines war in dem Moment klar: Kommt es zur Räumung, ist er als Grüner in Kreuzberg erledigt. Und gibt es Verletzte oder gar Tote, auch weit darüber hinaus. Es war, wenn auch aus Verzweiflung entstanden, ein ganz enorm mutiger Schritt, der erste seiner Art. Panhoff machte sich bei den eigenen Leuten unmöglich. Rechtlich war er nicht mehr zu stoppen, auch nicht von Herrmann.

Baustadtrat Hans Panhoff während einer Pressekonferenz zum Antrag der Räumung der von Flüchtlingen besetzten Gerhart-Hauptmann-Schule in Kreuzberg.
Baustadtrat Hans Panhoff während einer Pressekonferenz zum Antrag der Räumung der von Flüchtlingen besetzten Gerhart-Hauptmann-Schule in Kreuzberg.
© dpa

Der eigentliche Clou der Geschichte ist allerdings, dass erst dieser ungrüne Ruf nach der Polizei die Lage entscheidend entspannt hat, auch wenn das von vielen zunächst ganz anders empfunden wurde. Das Ultimatum, das gar keins hätte sein dürfen, war aufgehoben und ersetzt worden durch ein Moratorium. Panhoff gewann damit den kleinen Spielraum, den es brauchte, um eine gefährliche Kollision zu vermeiden. Wer kühlen Kopf bewahrt hatte, wusste: Jetzt geht es nicht mehr um Räumen oder Nichträumen, sondern um Räumen oder Nachgeben. Die Politik, zuvor noch wie im Schock gelähmt, gewann dadurch ihre Handlungsfähigkeit zurück – und gab nach: Die Flüchtlinge dürfen bleiben, die Polizei darf gehen. Urgrüner geht es nicht. Die Wut des alternativen Milieus ist verfehlt.

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