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POSITIONEN: Handschlag fürs Geschichtsbuch

Eine Annäherung zwischem den USA und Kuba ist überfällig.

Die Bilder werde ich nie vergessen: Aus Holzleisten zusammengezimmerte Flöße oder auch nur geflickte Lastwagenreifen lagen im Morgengrauen am Strand von Miami Beach, direkt vor den Touristenhotels. Untrügliche Hinweise darauf, dass in der Nacht wieder Flüchtlinge aus Kuba ihr Leben gewagt hatten, um die Insel der Castro-Revolutionäre zu verlassen. Wie ein roter Faden zogen sich diese Geschichten durch meine acht Jahre als Korrespondent in den USA. Immer wieder kamen sie in neuen Wellen.

Inzwischen leben zwei Millionen Kubaner (gegenüber elf Millionen auf der Insel) in den USA, längst sind sie auch eine mächtige Polit-Lobby, an der kein US-Präsident und schon gar kein Abgeordneter aus Florida vorbeikommt. Sie sind überwiegend konservativ und haben einen erheblichen Anteil daran, dass das Verhältnis zwischen den beiden Staaten so unversöhnlich ist, wie es ist. Was unter anderem zum Paradox führt, dass sich die USA mit endlosen Zäunen und Grenzkontrollen gegen den Menschenstrom aus anderen Staaten Lateinamerikas stemmen, während Kuba-Flüchtlinge hochwillkommen sind und sofortige Einwanderungsprivilegien genießen.

Und nun das: Barak Obama schüttelt Raúl Castro die Hand! Schnell dementierte das Weiße Haus jede geplante Absicht, und die Bilder sprechen dafür, dass das stimmt. Castro stand bei der Mandela-Trauerfeier in einer Reihe mit anderen Staatsgästen, und Obama schüttelte allen die Hände. Insoweit war die sofortige Beschreibung als „historisch“ verfrüht. Und dennoch: Es könnte ein Handschlag sein, der in die Geschichte eingeht.

Denn die Normalisierung der Beziehungen zwischen den beiden immer noch verfeindeten ungleichen Nachbarn ist mehr als überfällig – obwohl auch das Castro-Regime des Jahres 2013 nach wie vor weit davon entfernt ist, in Sachen Menschenrechte internationalen Maßstäben zu entsprechen. Kuba, sagt Human Rights Watch, sei das einzige Land in Lateinamerika, das praktisch alle Formen politischen Widerspruchs unterdrücke. Wer es dennoch tut, landet weiterhin auf der nächsten Polizeistation, lokale Journalisten leben besonders gefährlich. Und das, obwohl Raúl Castro nach dem Ausscheiden seines Bruders Fidel Reformen sowohl in der Wirtschaft wie bei Reisemöglichkeiten zugelassen hat. Aber diese Reformen sind nur halbherzig, zu lange ist die Sonneninsel Kuba schon eine DDR unter Palmen.

Genauso deutlich gehen die Menschenrechtshüter aber auch mit den nach wie vor unbarmherzigen Wirtschaftssanktionen der USA ins Gericht. Seit rund 60 Jahren in Kraft trügen diese entscheidend zur Not der Menschen auf Kuba bei und haben auch nichts getan, um die Menschenrechtssituation zu verbessern – ein Urteil, dem sich im Übrigen 188 von 192 Mitgliedern der UN kürzlich angeschlossen haben. Auch Obama hat, in aller Fairness, einige Restriktionen bei Reisemöglichkeiten und Geldtransfer gelockert, aber genauso halbherzig wie sein Gegenüber in Havanna.

Das kubanische Staatsfernsehen hat die Bilder des Handschlages sofort gesendet, vielleicht ein Zeichen dafür, dass man in Havanna auf eine solche Geste gewartet hat. Der Friedensnobelpreisträger Obama hätte jetzt die Chance, durch eine mutige Entscheidung für eine Öffnung zu den südlichen Nachbarn diesen zu früh verliehenen Preis nachträglich zu verdienen.

Präsident Obama zeigt derzeit außenpolitisch Mut, indem er gegen den massiven Widerstand im Kongress nach jahrzehntelanger Kluft Verhandlungen mit dem Erzfeind Iran über das Ende des Atomprogramms führt. In seiner zweiten Amtszeit könnte er endlich – ohne Rücksicht auf eine Wiederwahl nehmen zu müssen – auch zu einem Ausgleich mit Kuba zu kommen. Wie im Falle Iran muss das mit klaren Bedingungen verknüpft sein, das ist legitim, aber dieser Handschlag von Johannesburg , so spontan er auch gewesen sein mag, bietet die Möglichkeit für beide Seiten, sich zu bewegen. Es muss nach dem Händeschütteln ja nicht gleich eine Umarmung sein, aber ein Anfang für einen zivilisierteren Umgang könnte es schon sein.

Der Autor war von 1978–81 und 1992–97 ARD-Korrespondent in Washington.

Werner Sonne

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