PORTRÄT: Haci-Halil Uslucan: „Es gibt keine Anweisung zur Gewalt“
Der Berliner Psychologe Haci-Halil Uslucan soll neuer Leiter des Zentrums für Türkeistudien in Essen werden. Das ist in mehrfacher Hinsicht eine Zäsur.
Zwei Jahre lang war die Stelle des Leiters am Essener Zentrum für Türkeistudien unbesetzt. Dass jetzt der Berliner Psychologe Haci-Halil Uslucan berufen wird, bedeutet in mehrfacher Hinsicht eine Zäsur. Uslucan, der aus Kayseri stammt, der Stadt, die in der Türkei als Heimat konservativ-frommer Aufsteiger bekannt ist, kam schon als Kind nach Deutschland. Anders als sein Vorgänger Faruk Sen, Jahrgang 1948, ist der 45-Jährige selbst ein Migrantenkind – und damit Teil jener Gruppe, die der öffentliche Blick inzwischen gern als problematisch wahrnimmt.
Da könnte einer wie Uslucan produktiv verstören: Ein Magister in allgemeiner und vergleichender Literaturwissenschaft, danach Promotion, später Habilitation in Psychologie, derzeit Gastprofessor an der Universität der Bundeswehr in Hamburg. Anders als SPD-Mitglied Sen ist Uslucan ebenso Gast auf SPD-Tagungen wie er auch auf der anderen Seite geschätzt wird. Berufen wird er jetzt unter Nordrhein-Westfalens Integrationsminister Armin Laschet (CDU).
Uslucans wissenschaftliche Vorlieben spielen im Zentrum der Integrationsdebatte: Er beschäftigt sich mit Jugendgewalt und Gewalt in der Erziehung. 1999 leitete er ein Forschungsprojekt Jugendgewalt für Sachsen-Anhalts Landesregierung, 2002 und 2004 beobachtete er im Auftrag des Bundesfamilienministeriums gewalttätige junge Deutsche und Migranten. Es sei „eindeutig, dass türkische Jugendliche stärker gewaltbelastet sind“, sagt er. Wenn man allerdings einen Schichtvergleich anstelle – junge Deutsche der Unterschicht mit jungen Migranten derselben Schicht – schrumpften die Unterschiede auf ein Minimum. Deshalb sei die Debatte schief. Schließlich seien nicht Istanbuler Bankdirektoren nach Deutschland ausgewandert, sondern mehrheitlich Angehörige der Unterschicht.
In öffentlichen Debatten erlebt man Uslucan zurückhaltend, aber klar. Wer an praktisch unausweichliche Schlägerkarrieren unter Migranten glaubt, dem hält er entgegen: „Es gibt keine kulturelle Anweisung zur Gewalt.“ Und die Debatten der Frommen über wahren und falschen Glauben stutzt er, wie kürzlich bei der Friedrich-EbertStiftung, höflich zurecht: Entscheidend sei doch die religiöse Praxis eines Menschen, nicht ob eine Koransure dies oder jenes bedeute.
Faruk Sen musste gehen, weil er die Türken zu Europas neuen Juden erklärt hatte. Schwer vorstellbar, dass sein Nachfolger so auch nur dächte. Andrea Dernbach
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