VW-Dieselgate: Gestutzte Flügel
Der Volkswagen-Konzern hat auch ohne Abgas-Skandal eine Reihe ungelöster Probleme. Ein Kommentar
Es war nur eine Randbemerkung, mit der VW- Chef Matthias Müller am Donnerstag auf seiner ersten Pressekonferenz im neuen Amt symbolhaft deutlich machte, womit der Autokonzern zu kämpfen hat: VW werde seinen Airbus verkaufen, kündigte Müller an. Weil die überbesetzten Gremien des Zwölf-Marken-Konzerns verkleinert würden, brauche VW künftig weniger eigene Flugzeuge für Dienstreisen.
Viel Duckmäusertum und antiquierte Führungsstrukturen
Die neue VW-Führung übt sich knapp drei Monate nach Aufdeckung des Abgas-Skandals in Bescheidenheit. Eine Tugend, die man in der Ära Piëch/Winterkorn verlernt hatte. Der Airbus-Verkauf ist dabei nur ein kurioses Detail. Der Ton, den Müller und Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch anschlagen – beide eigentlich Männer des alten Systems –, zeugt von der tiefen Krise, in die der größte deutsche Industriekonzern geraten ist. Setzte die alte Führung noch auf Gigantismus und die unantastbare Allmacht der eigenen Autoingenieure, führen Müller und Pötsch nun ein anderes Vokabular ein. Den Führungsanspruch werde VW nicht aufgeben, sagte Müller, man definiere ihn nur anders. Nicht Absatzzahlen und Gewinn seien der Maßstab, sondern Glaubwürdigkeit und Vertrauen.
Das klingt gut, weil es sich wohltuend absetzt von der früheren Wolfsburger Rhetorik. Aber die unbeantwortete Frage, die Müller sich selbst stellte, lautet: Wie bringt man diesen neuen Geist einem Weltkonzern mit 600 000 Beschäftigten in 120 Werken bei? Einem Konzern, in dem es offenbar so viel Duckmäusertum und antiquierte Führungsstrukturen gibt, dass einige Ingenieure vor lauter Leistungs- und Kostendruck zu illegalen Tricks greifen mussten.
Das Beispiel der Deutschen Bank zeigt, dass ein verordneter Kulturwandel Worthülse bleibt, wenn er nicht gelebt wird. Die VW-Führung muss deshalb aufpassen, dass den schönen Worten bald Taten folgen. Schuldige müssen gefunden und bestraft werden, Kunden entschädigt, Strukturen nachhaltig verändert werden. Sonst riskiert die gesamte Führung ein zweites Mal, unglaubwürdig zu werden. Volkswagen hat sein Qualitätsversprechen mit manipulierten Abgaswerten gebrochen. Die Zusage, nun ein besseres Unternehmen schaffen zu wollen, muss eingehalten werden.
Aber was ist besser? Der Volkswagen-Konzern, der zehn Millionen Fahrzeuge verkauft und elf Milliarden Euro verdient, war bis dato sehr erfolgreich. Allein mit moralischen Grundsätzen und „offenen Türen“ (Müller) wird dieser wirtschaftliche Erfolg aber nicht nachhaltig bleiben. „Dieselgate“ wird – eher später als früher – Vergangenheit sein. Die Aufmerksamkeit wird sich wieder auf jene Fragen richten, die schon vor der Krise unbeantwortet waren: Wie sehr wird VW von seinen Eigentümern, den zerstrittenen Familien Porsche und Piëch, gelähmt? Wie lange überlebt die Kernmarke VW mit einer mickrigen Rendite von kaum zwei Prozent? Wie gut tun VW das VW-Gesetz und die dominierende Rolle des Landes Niedersachsen und der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat?
Man werde den Entwicklungen nicht hinterherlaufen, hat Matthias Müller versprochen. Es wäre gut für VW, wenn er damit nicht nur die Aufklärung des Abgas-Skandals meinen würde.
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