Große Koalition: Gerechtigkeit bei der Rente gibt es nicht
Mit den Änderungen bei der Rente werden neue Benachteiligungen geschaffen. Die große Koalition zeigt sich entschlossen, die eigenen Wähler zu bedienen - finanziert werden diese Verbesserungen aber aus den Beiträgen aller Arbeitnehmer.
Gegen mehr Gerechtigkeit kann keiner was haben. Und „mehr Gerechtigkeit“ war der Schlachtruf, mit dem vor allem die Union in ihren rentenpolitischen Wahlkampf zog. Wie könne es sein, fragten die Unionsfrauen, dass ältere Mütter für ihre Erziehungsleistung deutlich weniger Rente erhalten als jüngere? Sind deren Kinder weniger wert? Die Mütterrente müsse angehoben werden, koste es, was es wolle.
Es kostet Unsummen. Fast 40 Milliarden bis 2020. Über 100 Milliarden bis 2030. Doch gerecht ist der Umgang mit denen, die die Beitragszahler von heute erzogen und deshalb auf Einkommen verzichtet haben, noch immer nicht. Die Jüngeren liegen weiter mit einem Rentenpunkt vorne – obwohl ihnen weit mehr Kinderbetreuungsmöglichkeiten zur Verfügung standen. Ist die kleine Annäherung, sind die paar 20 Euro im Monat für die Betroffenen den ganzen Aufwand wert?
Mit jeder Reform werden andere benachteiligt
Für volle Gerechtigkeit, so heißt es nun kleinlaut im Gesetzentwurf, reiche das Geld nicht. Doch volle Gerechtigkeit ist im Rentensystem sowieso nie zu haben. Und wer sie politisch propagiert, verschlimmbessert die Sache womöglich nur. Weil er mit jeder gut gemeinten Rentenreform wieder andere benachteiligt. Was, zum Beispiel, ist gerecht daran, dass die Babyboomer ihr Studium für die Rente von einem Tag auf den anderen nicht mehr angerechnet bekamen? Was hat es mit Gerechtigkeit zu tun, dass die nach 1960 Geborenen keinen Anspruch mehr auf die alte Berufsunfähigkeitsrente haben?
Weshalb bekommen auch reiche Witwen und Zahnarztgattinnen, die kaum etwas eingezahlt haben, eine volle Mütterrente von den Beitragszahlern? Wieso dürfen finanziell ohnehin üppig und oft mit Betriebsrenten ausgestattete Facharbeiter nach störungsfreiem Berufsleben nun auch noch zwei Jahre früher abschlagsfrei in Rente gehen, während Pechvögel mit gebrochener Erwerbsbiografie als Rentner ein zweites Mal in die Röhre gucken? Wie gerecht ist es, dass Arbeitslose, die nach einem gut bezahlten Päuschen flott wieder in Lohn und Brot kamen, die Dauer ihrer Arbeitslosigkeit bei der Rente mit 63 nun voll anerkannt bekommen und Hartz-IV-Empfänger, die es viel nötiger hätten, nicht? Und wieso haben sich die Jüngeren in Zukunft mit kleineren Renten zu begnügen – obwohl sie doch länger gearbeitet haben als ihre Altvorderen?
Wichtig wäre es, die Grundprinzipien zu wahren
Nein, mit dem Gerechtigkeitsargument sollten die Rentenreformer nicht kommen. Was bei allen mitunter notwendigen Nachbesserungen wirklich zählt, ist, die wichtigsten Prinzipien zu wahren. Dazu gehört, dass die gezahlten Beiträge ihre Entsprechung in der späteren Rentenhöhe finden müssen. Es muss sich „lohnen“, möglichst lange gesetzlich versichert zu sein. Und für familienpolitische Leistungen haben, egal wie wichtig sie sind, alle in der Gesellschaft nach ihrem jeweiligen Vermögen aufzukommen – nicht nur die versicherungspflichtig Beschäftigten und ihre Arbeitgeber.
Mit letzterem hat die neue Regierung auf geradezu fahrlässige Weise gebrochen. Weil die Rentenkasse gerade so gut gefüllt ist und weil die Union versprochen hat, keine Steuern zu erhöhen, wird die Aufstockung der Mütterrente in dieser Wahlperiode einfach mal aus den Beiträgen finanziert. Beamte, Pensionäre, Selbständige, Privatiers ohne Rentenversicherungspflicht – sie alle brauchen sich daran nicht zu beteiligen. Und die reichen Versicherten auch nur bis zur so genannten Bemessungsgrenze.
Aus dem Sündenfall nichts gelernt
Schon einmal mussten die gesetzlich Versicherten Lasten schultern, für die – eigentlich – alle in der Gesellschaft hätten aufkommen müssen. Die Rede ist von der deutschen Einheit. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) beziffert den Finanztransfer für die Jahre 1991 bis 2003 allein durch die Renten- und Arbeitslosenversicherung auf 289 Milliarden Euro.
Der Sündenfall ist Geschichte. Doch Lehren scheint keiner daraus gezogen zu haben. Statt ihre Mehrheit für nachhaltige Generationenpolitik zu nutzen, besteht der große Konsens der großen Koalition nun wieder darin, sich zu sozialpolitischen Zwecken aus der Rentenkasse zu bedienen – und die eigenen Wählergruppen zu bedienen. Dafür gibt es keine Rechtfertigung. Schon gar nicht, wenn man mit Gerechtigkeit argumentiert.