MEINE Heimat: Formschinken links liegen lassen
Ich gebe zu, ich habe nicht immer die Zeit, alles frisch zuzubereiten. Aber wir sollten nicht vergessen: Jeder kann Lasagne für nahezu das gleiche Geld selbst machen, anstatt sie von den Restepanschern zu kaufen.
Am Wochenende habe ich an mein anatolisches Dorf gedacht, in dem ich als Kind jedes Jahr meine Sommerferien verbracht habe. Die Menschen lebten von der Landwirtschaft, mit deren Ernte sie sich mehr oder weniger ernährten. Die Tiere, die man großzog, um sie zu essen, waren keine Sache. Die Besitzer hatten Respekt vor der Schöpfung. Meine Mutter, eine echte anatolische Bäuerin, pflanzt bis heute Gemüse in ihrem Garten. Aus mir wäre ganz bestimmt keine gute Bäuerin geworden. Außer ein paar Halmen Schnittlauch, Topfbasilikum und verkümmerten Thymian bringe ich nichts zum Wachsen. Ich bin wie viele darauf angewiesen, im Supermarkt einzukaufen. Dort liegen aber Gammelfleisch, Dioxineier und Pasta mit Pferdestärke. Wie ist das möglich, fragt man sich, und ist wieder einmal entsetzt.
Wer als oberste Instanz die Lebensmittelüberwachung so lasch laufen lässt und Verstöße wie eine Ordnungswidrigkeit behandelt, schafft ein Anreizsystem, uns den Dreck als Nahrung unterzujubeln. Selbst, wenn man erwischt wird, ist die Strafe verglichen mit den Profiten gering. Aber ganz schuldlos sind wir Endverbraucher auch nicht. Ohne zu hinterfragen, essen wir alles, was uns vorgesetzt wird. Wer aus Bequemlichkeit billiges Fertigzeug kauft, muss sich die Frage gefallen lassen, ob man tatsächlich glaubt, dass in einem Pfund Tiefkühllasagne, für knapp drei Euro, noch etwas Hochwertiges drin sein kann. Bei dem Preis sollte man froh sein, dass überhaupt noch ein Tier drin ist.
Es ist wahrlich ein großer Fortschritt, Menschen satt zu bekommen. Doch zu glauben, das wäre nun ein Selbstläufer und der Markt regele das schon von selbst, ist durch die zahlreichen Lebensmittelskandale ein bewiesener Irrtum. Wir, die Verbraucher, sind beim Einkauf nicht davon befreit, den eigenen Kopf zu benutzen. Nur, wenn wir konsequent Plastikkäse, Formschinken und undefinierbare Fertiggerichte links liegen lassen, wird sich auf der Herstellerseite etwas verändern. Ganz sicher nicht heute, auch nicht morgen, aber in Zukunft. Was wegen schlechter Qualität nicht gekauft wird, muss vom Anbieter verbessert werden, sonst entgeht ihm der Gewinn. Statt als Verbraucher unsere Kaufmacht zu nutzen, lassen wir es zu, dass die Landwirtschaft von Entwicklungsländern ruiniert wird. Für unseren Billighunger nach Fleisch werden Regenwälder gerodet. Es wird Grundwasser verplempert, damit wir ganzjährig alle Obst- und Gemüsesorten essen können. In der Lebensmittelverarbeitung lassen wir Menschen für Niedriglöhne schuften, ohne dabei ein Loch in unseren eigenen Geldbeutel zu reißen.
Übrigens kann jeder Lasagne für nahezu das gleiche Geld selbst machen, anstatt sie von den Restepanschern zu kaufen. Vielleicht nicht mit ganz so viel Fleisch, dafür mit mehr Gemüse und Soße. Ich gebe zu, ich habe nicht immer die Zeit, alles frisch zuzubereiten. Ich bin weder fundamentaler Öko noch Vegetarier. Auch wenn ich kriminellen Machenschaften nicht gänzlich aus dem Weg gehen kann, verlasse ich mich beim Einkauf auf meinen Verstand. Oder wie mein Vater sagen würde: „Körle yatan sasi kalkar“ – Wer mit Blinden zu Bett geht, wacht schielend wieder auf.
Hatice Akyün
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