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Kanzlerin Angela Merkel und der griechische Regierungschef Alexis Tsipras beim EU-Lateinamerika-Gipfel in der vergangenen Woche in Brüssel.
© dpa

Euro-Krise: Europa im Sumpf der Adoleszenz

Im Streit um den Euro verhalten sich die Europäer wie Kinder. Es ist Zeit für erwachsene Entscheidungen. Ein Kommentar

Ein Kommentar von Moritz Schuller

Sie wolle endlich mit Erwachsenen reden, sagte vor ein paar Tagen die Chefin des Internationalen Währungsfonds, Christine Lagarde. Doch die gibt es in Europa nicht. Erwachsen werden bedeutet, sich der Kluft zwischen der Welt, wie sie sein sollte, und der Erfahrung, dass sie selten so ist, zu stellen. Wer das nicht schafft, bleibt im „Sumpf der Adoleszenz“ stecken, schreibt Susan Neiman in ihrem gerade erschienenen Buch „Warum erwachsen werden?“.

Europa wird nicht erwachsen. Es wird nicht reifer dadurch, dass es an seiner Ostgrenze verprügelt wird, nicht dadurch, dass es seine Geldbörse im Süden verliert. Es lernt daraus nichts. Das europäische Projekt lebt von dem Versprechen, einmal der größte politische Erwachsene der Welt zu sein – und benimmt sich fortwährend wie ein Kind: Die Europäer wünschen sich, dass der Euro funktioniert, weil sie in die Idee einer Gemeinschaftswährung verliebt sind, und verschließen die Augen vor den Gründen, warum sie nicht funktioniert. Das Problem der Euro-Zone ist schließlich nicht das Verhalten der griechischen Regierung, sondern die Tatsache, dass sie Volkswirtschaften zusammenbindet, die nicht zusammenpassen. Es geht dabei nicht nur um jeweils unterschiedliche Traditionen der Geld- und Finanzpolitik, sondern auch, wie Wolfgang Streeck, der emeritierte Direktor des Max-Planck-Instituts für Gesellschaftsordnung in Köln, schreibt, „um wirtschaftliche und gesellschaftliche Weltbilder“ – von denen keines, wie Streeck betont, dem anderen „moralisch überlegen ist“.

"Die Euro-Zone wird heute fast nur noch durch Angst vor dem zusammengehalten"

Nachdem der Versuch gescheitert war, die Griechen zu Deutschen zu machen, ist auch der Versuch, die Deutschen durch einen schwachen Euro zu Griechen zu machen, zum Scheitern verurteilt. Insofern ist die Forderung nach Entgegenkommen, die in den vergangenen Wochen von beiden Seiten zu hören war, sinnlos: Jeder vermeintliche Kompromiss zwischen diesen wirtschaftlichen Weltbildern verschiebt das Problem nur, ohne es zu lösen. Er kann deshalb nicht von Dauer sein. „Die Euro-Zone wird heute fast nur noch durch Angst vor dem zusammengehalten, was im Fall eines Auseinanderbrechens passieren könnte. Aber dies könnte schon bald nicht mehr ausreichen, um die Summen zu rechtfertigen, die man den deutschen Wählern wird abfordern müssen, um den Euro zu retten“, schreibt Streeck. Er bringt deshalb, als Linker, den Rückbau der Währungsunion ins Spiel. Erwachsene würden darüber reden, statt zuzuschauen, wie der Euro die Europäer auseinandertreibt.

Angela Merkels Verantwortung für diese Situation ist erheblich: Sie hat ihren Politikstil, alles laufen zu lassen, nichts beim Namen zu nennen, bis der Widerstand in sich zerfällt, auf die Euro-Krise übertragen. Doch Tsipras ist nicht Westerwelle, und Lagarde ist nicht Gabriel: Zum ersten Mal stößt sie auf Widerstand, den sie politisch nicht selbst auflösen kann, zum ersten Mal trifft sie auf Gegner und nicht auf Opfer. Dadurch geriet ihr die jüngste Auseinandersetzung mit Athen außer Kontrolle und schließlich zur endlosen Farce, die jeden, der sich daran beteiligte, trotzig und infantil erschienen ließ. Ob es am Ende eine aufwendige Inszenierung war, deren Ende bereits feststand, oder ein wirklich offener Streit: Diesen politischen Aderlass zugelassen zu haben, den das Ringen um ein paar Rentenpunkte Europa zugemutet hat, war verantwortungslos. Es hat die Union auch als politisch unreif entlarvt. Weil sie sich, geradezu hysterisch, in etwas verbissen hat, das nicht der Kern des Problems ist.

Es ist also Zeit, sich von einigen Idealen zu verabschieden

Diese Unreife hat Wladimir Putin den Eindruck vermittelt, ungestraft zu den Waffen greifen zu dürfen. Diese Unreife führt dazu, dass das Flüchtlingsproblem außer Kontrolle gerät und jeder Schlepper sein schäbiges Geschäft ohne Risiko fortführen kann. Sie führt dazu, dass die EU lauter Regeln beschließt, an die sie sich dann selber nicht hält.

Die Europäische Union war der Versuch, die nationale Unreife in ein erwachsenes Europa umzuwandeln. Das ist gescheitert. Europa steckt noch immer im „Sumpf der Adoleszenz“ fest: Nicht einmal unter massivem militärischen, wirtschaftlichen und politischen Druck wird die ideale Welt der Wirklichkeit angepasst. Der Preis, den dieses unreife Handeln hinterlässt, zeichnet sich ab. Es ist also Zeit, sich von einigen Idealen zu verabschieden und sich auf das Realistische zu konzentrieren. Denn, schreibt Neiman, „an Idealen festzuhalten, für die es in der Welt keine Verwendung gibt, wird zu einer Quelle der Enttäuschung und sogar der Scham“.

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