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Margrethe Vestager
© dpa

Margrethe Vestager: EU-Kommissarin mit dem Zeug zur Volksheldin

Die Entscheidung von Apple 13 Milliarden Euro Steuern nachzufordern ist mutig und richtig. Die Proteste der US-Regierung sind grob irreführend. Ein Kommentar

EU-Kommissare sind gemeinhin wenig populär. Allzu undurchsichtig ist die europäische Gesetzgebung und die Rolle der Kommissare beim Schmieden mühsamer Kompromisse zwischen den EU-Staaten.

Doch seit vergangener Woche kennt Europa eine Kommissarin, die das Zeug zur Volksheldin hat: Margrethe Vestager, zuständig für die Einhaltung der Wettbewerbsregeln im EU-Binnenmarkt, entschied, dass Apple, der wertvollste Konzern der Welt, auf seine in Europa erzielten Gewinne bis zu 19 Milliarden Euro Steuern und Zinsen nachzahlen muss. Die Bedeutung dieser Entscheidung ist kaum zu überschätzen.

Apple erfand das staatenlose Unternehmen

Denn der spektakuläre Schlag der unerschrockenen Dänin enthüllt für jedermann die ganze Absurdität der selbst verschuldeten Ohnmacht der nationalen Politik gegenüber den transnationalen Weltkonzernen. Das beginnt schon mit dem bizarren Konstrukt, über das die Apple-Manager bis 2015 die Steuerlast auf ihre in Europa erzielten Gewinne auf 0,005 Prozent drückten. Dazu diente eine Firma namens Apple Sales International (ASI), deren „head office“ alle Gewinne der europäischen Apple-Vertriebsgesellschaften zuflossen. ASI war in Irland registriert und somit für die US-Steuerbehörde eine ausländische Tochtergesellschaft, deren Gewinne steuerfrei sind, solange sie nicht in die USA überwiesen werden. Gleichzeitig hatte das ASI „head office“ aber kein Büro und keine Angestellten in Irland, der Vorstand tagte per Telefonkonferenz. Für eine solche Luftfirma erklärten sich auch die irischen Steuerbehörden nicht zuständig. Das Ergebnis war ein de facto staatenloses Unternehmen, das nirgendwo Steuern zahlt und in der von Vestager veröffentlichten Grafik treffenderweise in den Wolken über dem Atlantik angesiedelt ist.

Solche Staatshilfen sind nach EU-Recht illegal

Noch lehrreicher ist der Protest, der auf die Entscheidung folgte. Da drohte etwa US-Finanzminister Jack Lew mit Vergeltungsmaßnahmen und entdeckte sein Herz für die Souveränität von Europas Nationalstaaten. Die EU-Kommission spiele sich zur „überstaatlichen Steuerbehörde“ auf, obwohl der EU-Vertrag das untersage, behauptete er. Doch das ist falsch. Vestager geht nicht gegen den niedrigen irischen Steuersatz von 12,5 Prozent vor, sondern gegen die Tatsache, dass Apple nicht einmal diesen zahlen musste. Solche indirekten Staatshilfen sind aber nach EU-Recht illegal. Nur so lässt sich ein ruinöser Subventionswettlauf zwischen den EU-Staaten verhindern.

Noch dringender wäre ein Lernprozess in Irland

Tatsächlich lenken Lew und mit ihm die Steuerpolitiker der beiden großen US-Parteien nur vom eigenen Versagen ab. Tatenlos haben Regierung und Kongress in Washington seit Jahrzehnten zugesehen, wie US-Konzerne hunderte Milliarden Dollar im Ausland erzielter Gewinne in Steueroasen bunkern, um den US-Steuersatz von 40 Prozent zu vermeiden. Die Haltung der US-Regierung laufe darauf hinaus, zu sagen „hey, Europa, du darfst die Gewinne von Apple nicht besteuern, weil wir doch schon beschlossen haben, das nicht zu tun“, spottete der Kolumnist Matt Levine vom Finanzdienst Bloomberg. Würden Amerikas zerstrittene Parteien die Gelegenheit nutzen, einen international vergleichbaren Steuersatz von 25 Prozent für Unternehmensgewinne einzuführen und im Gegenzug das Versteckspiel mit den Briefkastenfirmen beenden, dann käme der Weckruf aus Brüssel sogar der US-Staatskasse zugute.

So geht Europa!

Noch dringender wäre ein solcher Lernprozess allerdings in Irland. Auf einen Schlag könnte die Regierung in Dublin 19 Milliarden Euro einziehen, mehr als ein Drittel eines ganzen Jahreshaushalts. Aber anstatt das Geld zu nutzen, ihr von Bankpleiten und Massenauswanderung gebeuteltes Land zu modernisieren, will die Regierung allen Ernstes gegen den Bescheid aus Brüssel vor Gericht ziehen. Es gehe um „die Souveränität unserer Nation“ erklärte Ministerpräsident Enda Kenny, seine Regierung stehe „voll hinter unserem Steuerregime für Unternehmen“ – gerade so, als ginge das die übrigen Europäer nichts an. In Wahrheit aber lockt Irland ausländische Investitionen ins Land, indem es Steuergeschenke auf Kosten der anderen EU-Staaten verteilt.

Die Ignoranz von Kenny und seinen Ministern rückt das mutige Vorgehen der Kommissarin jedoch noch besser ins Licht. Nicht nur ist es ihr gelungen, den Stillstand beim Kampf gegen die Steuerflucht der Konzerne zu überwinden. Sie demonstriert zudem, wie dringend das integrierte Europa eine Instanz braucht, die das gemeinsame Interesse aller Europäer gegen kurzsichtige nationale Interessen durchsetzt. So geht Europa. Danke, Frau Vestager.

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